Dem perfekten Wirkstoff auf der Spur
Nach Stationen in den USA, Hamburg, Heidelberg und Berlin kehrte Andrea Volkamer im August 2022 zurück in ihre Heimat: an die Universität des Saarlandes als Professorin für Data Driven Drug Design. Mit ihrer Arbeit will die Bioinformatikerin dazu beitragen, Medikamente schneller zu entwickeln und die Zahl von Tierversuchen zu reduzieren.
Andrea Volkamer forscht an der Entwicklung von Medikamenten. Nicht mit Pipette, Reagenzglas und Mikroskop, sondern mit dem Computer: Sie ist Professorin für Data Driven Drug Design an der Universität des Saarlandes. „Ich beschäftige mich mit computergestütztem Wirkstoffentwurf auf molekularer Ebene, also mit Proteinen und wie man diese mithilfe kleiner Moleküle blockieren kann“, erklärt die Bioinformatikerin. Denn nach diesem Prinzip funktionieren viele Arzneistoffe: Sie binden an bestimmte fehlregulierte Proteine im Körper, hemmen deren Funktion und verhindern so ein Fortschreiten der Krankheit. Ein bekanntes Beispiel eines solchen Medikaments ist Aspirin. Es bindet an ein Protein, das für die Weitergabe des Schmerzsignals verantwortlich ist. Dadurch verhindert es, dass der Schmerz im Körper weitertransportiert wird.
Mit dem Computer Krankheiten bekämpfen
Das passende „Blockade“-Molekül für ein bekanntes Protein zu finden, ist eine der Schwierigkeiten bei der Entwicklung neuer Medikamente. „Es gibt Milliarden Möglichkeiten, wie ein Molekül aussehen könnte. Aus dieser Menge möchte man nun die Kandidaten aussuchen, die am besten in die dreidimensionale Struktur des Proteins passen und die gewünschte Wirkung haben – ähnlich der Suche nach der Nadel im Heuhaufen“, sagt Andrea Volkamer. Alle Varianten im Labor durchzutesten wäre immens aufwendig. Mit Computerhilfe allerdings lässt sich die wahrscheinliche Wirkung einer Milliarde Moleküle im Nu simulieren. Genau das macht die Wissenschaftlerin mit ihrem Team: „So finden wir aus dieser Riesenmenge die vielleicht 100 am besten geeigneten Moleküle und erstellen eine Vorauswahl, die dann im Labor weiter untersucht wird.“ Die Vorteile: Man spart Zeit und somit Geld im sehr langen und teuren Entwicklungsprozess, erhöht die Erfolgschancen und verringert die Zahl benötigter Tierversuche.
Letzteres war mit ein Grund dafür, warum sich Andrea Volkamer nach dem Abitur für den damals noch recht exotischen Studiengang der Bioinformatik entschieden hat. „Die Idee, mit Computern etwas zu simulieren, sodass man weniger am Tier testen muss, hat mich gepackt“, sagt sie. Vor allem aber habe sie die Anwendungsnähe des Fachs gereizt. Ein Artikel in der regionalen Tageszeitung hatte die gebürtige Saarländerin seinerzeit auf den neuen Studiengang an der Uni des Saarlandes aufmerksam gemacht. Sie ging zur Infoveranstaltung. Danach war ihr klar, das richtige Fach gefunden zu haben. 2001 schrieb sie sich an der Saar-Uni als eine der ersten Bioinformatik-Studierenden ein.
Es folgte eine beeindruckend geradlinige Karriere: Nach ihrem Masterabschluss zog es sie in die USA zu einem einjährigen Forschungsaufenthalt an der Purdue University. Nicht zuletzt auch der Sprache wegen. „Denn Englisch ist in unserem Fach Pflicht“, betont sie. Zurück in Deutschland, promovierte sie an der Universität Hamburg. Ab 2013 arbeitete die Nachwuchswissenschaftlerin als PostDoc am BioMedX Innovation Center Heidelberg in der Krebsforschung. Drei Jahre später kam der Wechsel zur Charité in Berlin, wo sie als Juniorprofessorin eine Forschungsgruppe leitete. Im August des Jahres 2022 kehrte sie schließlich an die Universität des Saarlandes zurück.
Wie das Lösen eines dreidimensionalen Puzzles
Nach dem roten Faden in ihrem Werdegang muss man nicht lange suchen: Von Anfang an hatte Andrea Volkamer sich im Studium auf das computergestützte Wirkstoffdesign spezialisiert. „Für mich hat das etwas von einem Rätsel. Es ist wie ein Puzzle, bei dem man sich fragt: Wie finde ich das Teil, das ins Protein passt?“, begründet die Forscherin ihre Faszination für das Fachgebiet. Vereinfacht gesagt, entwickelt ihre Forschungsgruppe Methoden, die aus einer großen Menge an verfügbaren experimentellen Daten Regeln ableiten und Vorhersagen für zukünftige Experimente machen. Dazu nutzt sie auch maschinelles Lernen und Künstliche Intelligenz (KI). „Anstatt einem Computer die Regeln mitzugeben, anhand derer Daten sortiert werden sollen, gebe ich dem Computer eine sehr große Datenmenge, beschreibe diese in geeigneter Weise und das Modell lernt selbst, diese Daten zu trennen“, erklärt sie. Die Wissenschaftlerin sieht darin enormes Potenzial für ihr Forschungsfeld. Denn eine KI, die mit Daten von bereits verfügbaren Molekülen trainiert wurde, kann beispielsweise auch genutzt werden, um neue Moleküle vorzuschlagen: „Solche Algorithmen durchsuchen nicht einen riesigen Datensatz, sondern entwickeln ein passendes Molekül sozusagen von Grund auf.“
Die Anwendungsmöglichkeiten von Volkamers Methoden sind sehr breit. Sie können sowohl bei der Entwicklung von Medikamenten gegen Krebs, aber auch für neue Antibiotika zum Einsatz kommen. Doch weil ihre Arbeit ganz am Anfang eines im Schnitt 15 Jahre dauernden Entwicklungsprozesses steht, ist es schwer zu ermitteln, an welchen konkreten Arzneimitteln ihre Methoden mitgewirkt haben. Umso mehr freut sie sich über die räumliche Nähe der verschiedenen Institutionen an ihrer jetzigen Wirkungsstätte in Saarbrücken. Andrea Volkamer ist eingebettet in das Zentrum für Bioinformatik und arbeitet eng mit der Informatik zusammen, deren Gebäude sich direkt gegenüber befindet. Das Helmholtz-Institut für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS) liegt nur ein paar Meter die Straße hinunter, und auch die Uniklinik in Homburg ist nicht weit. „Durch diese kurzen Wege zu den Partnern, die das Ganze von der Grundlagenforschung bis zu den klinischen Studien weiterführen können, sind wir mehr am ganzen Prozess beteiligt. Ich finde das spannend, am Schluss vielleicht zu sehen, dass die Anwendung unserer Methoden dazu beigetragen hat, ein neues Antibiotikum zu entwickeln“, freut sich die Bioinformatikerin.
Wenn sie über ihren Arbeitsplatz spricht, gerät sie fast ins Schwärmen. Neben den kurzen Wegen zu anderen Fachbereichen lobt sie insbesondere die sehr gute Ausstattung: „Das Saarland wird oft übersehen. Dabei haben wir hier Spitzenforschung mit Spitzenforscherinnen und -forschern. Die Möglichkeiten, die man hier hat, sind riesig“, sagt sie. Hinzu komme ein sehr persönlicher Umgang im Team: „Das ist ein Miteinander, das es an vielen anderen Standorten so nicht gibt. Man kennt sich, man hilft sich.“
Das Saarland wird oft übersehen. Dabei haben wir hier Spitzenforschung mit Spitzenforscherinnen und -forschern. Die Möglichkeiten, die man hier hat, sind riesig.“
Prof. Dr. Andrea VolkamerEngagierte Open-Science-Verfechterin
Neben ihrer Forschungsarbeit liegen Andrea Volkamer auch die Lehre und die Nachwuchsförderung sehr am Herzen. Als Open-Science-Verfechterin stellt sie nicht nur die Forschungsergebnisse sowie den Programmcode ihrer Arbeitsgruppe online zur Verfügung, sondern engagiert sich auch für digitale und frei verfügbare Lehrmaterialien – insbesondere vor dem Hintergrund der Interdisziplinarität ihres Fachs. Gerade die Thematik rund um den Umgang mit großen Datenmengen und KI spielt in immer mehr Fächern eine wachsende Rolle. Biologie, Chemie, Pharmazie und Medizin müssen sich zunehmend damit auseinandersetzen. Deshalb gibt Andrea Volkamer auch KI-Kurse für Kolleginnen und Kollegen aus der Medizin oder der Chemie.
In jedem ihrer Worte spürt man die Leidenschaft für ihr Fach. Dass sie diese ausleben kann, verdanke sie vor allem der Unterstützung ihres Mannes. Als Mutter zweier junger Kinder ist der Spagat zwischen Familie und Forschung nicht immer einfach. Mit dem Umzug ins Saarland sind nun auch die Großeltern in der Nähe und können ab und zu unterstützen. Auch in dieser Hinsicht hat Saarbrücken also eindeutig einen Standortvorteil gegenüber Berlin zu bieten. Kein Wunder, dass sich Andrea Volkamer angekommen fühlt.