Grüne Transformation:
Für eine nachhaltige Industrie
Klimaschutz und der schonende Umgang mit Ressourcen sollen bei Autos und anderen Verkehrsmitteln zukünftig im Fokus stehen. Im Saarland wird an Ideen geforscht, an innovativen Produkten, Verfahren und ganzen Fabriken gearbeitet, die dazu einen Beitrag leisten.
Menschen wollen mobil sein, daran kann es keinen Zweifel geben. 926 Milliarden Kilometer legten sie 2021 allein in Deutschland motorisiert zurück, und der sogenannte Individualverkehr hat daran den mit weitem Abstand größten Anteil. Doch mit Blick auf Klimaschutz und Umwelt sind Kraftfahrzeuge von der Herstellung über den Betrieb bis zur Entsorgung Sorgenkinder. Das muss aber nicht so bleiben. Überall wird geforscht, getüftelt und investiert, um das Auto nachhaltiger zu machen. Vier zukunftsweisende Beispiele aus dem Saarland.
Forschung: Recycling-Kunststoffe mit eingebauter Nachhaltigkeit
Ein Spezialist für Nachhaltigkeit ist Professor Christoph Wittmann, Leiter des Instituts für Systembiotechnologie an der Universität des Saarlandes. Er forscht und arbeitet in einem Fachgebiet, das näher am Alltag ist, als viele glauben. Mikroorganismen dienen seit Jahrtausenden still und fleißig bei der Herstellung von Joghurt, Sauerkraut, Wein oder Brot. Was dabei abläuft, ist jedoch äußerst komplex, und dieser Komplexität will die Systembiotechnologie gerecht werden. „Wir gehen ganzheitlich heran und versuchen, systematisch zu verstehen, wie die Zellen funktionieren, wie sie gebaut sind und wie wir ganz gezielt eingreifen können, um den Stoffwechsel zu lenken“, sagt Wittmann. „Beispielsweise können wir mithilfe der Gentechnik bestimmte Funktionen von Zellen gezielt verändern und sie damit in nachhaltige Synthesefabriken verwandeln.“
Dieses Wissen setzen Wittmann und sein Saarbrücker Forschungs-Team im EU-Projekt REPurpose ein, um aus Abfällen nachhaltige Kunststoffe herzustellen. So sollen langfristig die herkömmlichen auf Basis von Erdöl hergestellten Materialien ersetzt werden. Insgesamt elf europäische Partner sind an dem Projekt beteiligt, die mit ihrer Expertise die gesamte Kette abdecken – von der Produktion bis zum Recycling. Um Kunststoffe zu entwickeln, die sich abbauen und ohne Qualitätsverlust recyceln lassen, setzen die Saarbrücker Systembiologinnen und -biologen auf zwei Ansätze, die gemeinsam wirken sollen. Die Abfälle werden mit speziellen Enzymen vorbehandelt, von eigens entwickelten Bakterien abgebaut und zugleich in das gewünschte neue Material umgewandelt. „Am Ende haben wir die denkbar ökologischsten Kunststoffe, die ohne Petrochemie hergestellt wurden, kontrolliert abbaubar sind und unbegrenzt recycelt werden können“, sagt Wittmann.
Nach Metallen stehen Kunststoffe an zweiter Stelle der in Autos verbauten Materialien, mit seit Jahren steigender Tendenz. Hinzu kommt, dass das Thema Nachhaltigkeit alle Hersteller umtreibt, von Audi über BMW und Mercedes-Benz bis Volkswagen. Für den Saarbrücker Forscher gibt es daher in der Branche klares Potenzial für seine Produkte: „Konsumenten wollen sich heute mit nachhaltigen Produkten umgeben. Da wäre das Auto, das ohnehin in dieser Hinsicht kritisch betrachtet wird, ein idealer Ort für unsere Kunststoffe.“
Wolfspeed plant Chipfabrik für die Zukunft der Elektromobilität
Nachdem sich Europa bei Computerchips jahrzehntelang überwiegend auf asiatische Hersteller verlassen hat, wird mit Hochdruck an der Rückkehr eines Teils der Produktion gearbeitet. Denn die Bauteile sind derzeit knapp, was beispielsweise bei Autoherstellern zu Produktionsausfällen geführt hat. Die Nachricht von einer geplanten Chipfabrik im saarländischen Ensdorf wurde deshalb von Wirtschaft und Politik bis hinauf zum Wirtschaftsminister und Kanzler begeistert begrüßt. Anfang Februar 2023 hatte der US-amerikanische Hersteller Wolfspeed angekündigt, dort, wo einst Kohle zu Strom wurde, die „weltweit größte und modernste“ Produktion für Siliziumkarbid-Halbleiter aufbauen zu wollen, und damit auch eine Investition von zwei Milliarden US-Dollar in Aussicht gestellt.
„Wir haben uns einfach ins Saarland verliebt“, sagte Wolfspeed-CEO Gregg Lowe auf die Frage nach der Standortwahl und fügte hinzu, es biete sich eine überzeugende Kombination aus hoch qualifizierten Arbeitskräften, hervorragender Infrastruktur, Zugang zu großen Märkten mit wichtigen globalen Industrieunternehmen, einer zentralen Lage in Europa und einem starken Fokus auf Nachhaltigkeit. „Darüber hinaus unterstützen die deutsche Bundesregierung und die saarländische Landesregierung unsere Idee, ein historisches Kohlekraftwerk in eine Hightech-Anlage für eine energiesparende Zukunft umzuwandeln“, so Lowe.
Ein Elektroauto lädt schneller
auf, fährt weiter und bietet mehr Platz, wenn es mit Halbleitern auf Siliziumkarbid-Basis ausgestattet ist.»
Siliziumkarbid ist ein weltweit begehrtes Material, das insbesondere bei der Elektromobilität eine große Rolle spielt. Es leitet elektrischen Strom besser, schaltet schneller und reduziert die Verluste von Energie, die als Wärme verloren geht. „Einfach ausgedrückt: Ein Elektroauto lädt schneller auf, fährt weiter und bietet mehr Platz, wenn es mit Halbleitern auf Siliziumkarbid-Basis ausgestattet ist“, sagt Lowe. Wolfspeed möchte in Ensdorf die nächste Generation von Hochleistungs-Siliziumkarbid-Chips fertigen. Hochautomatisiert soll dies auf sogenannten Wafern, mikroelektronischen Grundplatten, mit 200 Millimeter Durchmesser geschehen. Dies steigert im Vergleich zu den bisher üblichen 150-Millimeter-Wafern die Chip-Ausbeute und senkt damit Produktionskosten. Wolfspeed hat dabei einen prominenten deutschen Partner: Mit einem dreistelligen Millionenbetrag will sich der Technologiekonzern ZF an der Fabrik beteiligen und plant außerdem die Gründung eines gemeinsamen Forschungs- und Entwicklungszentrums für Siliziumkarbid-Systeme. Für ZF-Vorstandsmitglied Stephan von Schuckmann vereinen beide Unternehmen auf branchenweit einmalige Weise Kompetenz in Leistungselektronik und elektrischen Systemen mit dem Know-how in den Anwendungen. „Wolfspeed bringt seine mehr als 35 Jahre Erfahrung in der Siliziumkarbid-Technologie ein, und bei ZF haben wir ein einzigartiges Verständnis für die Gesamtsysteme in allen Branchen – von Pkw und Nutzfahrzeugen bis hin zu Baumaschinen, Windenergie und industriellen Anwendungen.“
Bosch entwickelt Spezialteile für die wasserstoffbetriebene Brennstoffzelle
In Homburg, auf halbem Weg zwischen Saarbrücken und Kaiserslautern, liegen drei Werke der Robert Bosch GmbH mit rund 4.500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Neben anderen Geschäftsbereichen wird im größten Werk an einer Technologie gearbeitet, die für die Mobilität der Zukunft eine große Rolle spielen könnte: die Brennstoffzelle. Vereinfacht gesagt, wandelt sie Wasserstoff und Sauerstoff in elektrischen Strom um, wobei als Abfallprodukt nur Wasser entsteht. Bereits seit den 1960er-Jahren als Stromquelle für Raumschiffe und Satelliten eingesetzt, wird die Technik nun immer mehr alltagsfähig. Zwei Faktoren wirken für Dr. Michael Reinstädtler, der bei Bosch in Homburg die Fertigungsentwicklung der Brennstoffzelle leitet, dabei beschleunigend: die Klimakrise und der russische Angriffskrieg auf die Ukraine. Der Abschied von fossilen Brennstoffen kommt schnell. „In Homburg haben wir schon im vergangenen Jahr begonnen, Komponenten für eine Brennstoffzelle zu industrialisieren, das heißt, sie in Serie herzustellen“, sagt Reinstädtler.
Im Vergleich zur Batterie habe die Brennstoffzelle einen entscheidenden Vorteil: Sie lässt sich viel schneller laden, ein Wasserstofftank ist in Minuten gefüllt. Zudem ließe sich eine für Lastwagen nötige Wasserstoffinfrastruktur weitaus schneller und günstiger aufbauen als eine für elektrisches Schnellladen. „Lastwagen brauchen dafür eine Ladeleistung im Megawattbereich. Die nötige Infrastruktur wird es an Autobahnraststätten, wo Hunderte Lkw täglich tanken, lange nicht geben“, ist Reinstädtler sicher. Und Pkw? Natürlich wäre auch das ein attraktiver Absatzmarkt. „Aber die Wasserstoffmobilität wird sich zunächst bei Fahrzeugen ab einem Gewicht von sechs Tonnen durchsetzen“, erläutert er. Und ist sicher: „Ab 2035 wird die Hälfte dieser Fahrzeuge entweder eine Batterie oder eine Brennstoffzelle an Bord haben.“
Pyrum gewinnt wertvolle Recyclingmaterialien aus alten Autoreifen
Ob Pkw oder Lkw – alle brauchen Reifen, viele nur vier, einige acht, andere bis zu 16 Stück. Haben diese das Ende ihrer Lebenszeit erreicht, müssen sie entsorgt werden, und die Menge an Altreifen erreicht geradezu unglaubliche Ausmaße. Allein in Deutschland fallen jährlich über 600.000 Tonnen davon an, und ihre Entsorgung oder Wiederverwertung ist ein kniffliges Problem. Deshalb landet bisher ein großer Teil der Reifen als Brennstoff in Zementwerken, andere werden zu Blumenkübeln, Parkbänken oder Bodenbelägen für Sport- und Spielplätze.
Dass es dafür eine bessere Lösung gibt, zeigt die Pyrum AG, ein Startup im saarländischen Dillingen. Dem Team um Mitgründer und Vorstand Pascal Klein gelingt das Recycling von Altreifen per Thermolyse, der Aufspaltung organischer Verbindungen bei hohen Temperaturen. „Viele versuchen sich daran, aber keiner hat es so gut hinbekommen wie wir“, erzählt Klein und zeigt in seinem Büro auf eine Reihe von kleinen Behältern, die das enthalten, was nach der Thermolyse vom Reifen übrigbleibt: Gummigranulate in verschiedenen Mischungen und Korngrößen, Pyrolyse-Öl, Ruß und schließlich Stahldraht – nicht umsonst heißen Autoreifen seit den 1960er-Jahren auch „Stahlgürtelreifen“. Abnehmer gibt es bereits: Beispielsweise stellt der Chemieriese BASF mit Recyclat von Pyrum einen Kunststoff her, den Mercedes-Benz in Fahrzeugen verwendet.
Die Idee zur Thermolyse ist nicht neu, wurde aber bei Pyrum über viele Jahre verfeinert. „Wir haben einen Reaktor entwickelt, der bei hohen und stabilen Temperaturen im Vakuum die Abfälle in ihre Bestandteile zerlegt und dabei im Unterschied zu anderen Lösungen lange läuft“, erklärt Klein. „Diese Anlage hier“, und dabei deutet er aus dem Fenster auf die Anlage im Hof, „ist seit Mai 2020 in Betrieb, also seit drei Jahren, 24 Stunden am Tag.“ Abgesehen vom Schreddern der Abfälle, das Energie kostet, entsteht bei der Thermolyse im Reaktor als Nebenprodukt brennbares Gas. „Das erlaubt es uns, die Anlage energieautark zu betreiben, es entsteht sogar ein Überschuss an Wärme, den wir weiterverkaufen können.“
Erlöse aus dem Verkauf der Recyclingprodukte, energetisch nahezu autark – das klingt wie ein Selbstläufer, wie etwas, auf das nicht nur die Recycling-Welt gewartet hat. Aber Klein, dessen Unternehmen seit September 2021 börsennotiert ist, bleibt auf dem Boden der Tatsachen. Jede Anlage kostet 30 Millionen Euro, vorfinanzieren kann Pyrum das selbst nicht. „Interessenten gibt es genug, aber für die Finanzierung brauchen diese eine Bank. Und die müssen wir immer noch davon überzeugen, dass unser Produkt nicht nur eine gute Recyclinglösung, sondern auch ein gutes Geschäft ist“, sagt Klein.
„Viele versuchen sich daran, aber keiner hat es so gut hinbekommen wie wir.»
Pascal Klein, Mitgründer und Vorstand Pyrum AG