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Hoch hinaus


Viele alltägliche Anwendungen auf der Erde werden durch die Weltraumforschung voran­getrieben. Forschende aus dem Saarland untersuchen, wie die Schwere­losigkeit Materialien und auch Menschen verändert.
Experimente im Weltall können wichtige Hinweise für die Medizin auf der Erde liefern. © ESA / NASA

Als am 21. Oktober des Jahres 2022 um 9:25 Uhr die Forschungsrakete MAPHEUS-12 des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt von der schwedischen Raketenbasis ESRANGE nahe Kiruna ins Weltall startete, hatte sie Materialien aus Saarbrücken an Bord: Das Leibniz-Institut für Neue Materialien (INM) hatte unter Leitung von Tobias Kraus, Forschungsgruppenleiter am INM und Professor für Kolloid- und Grenzflächenchemie an der Universität des Saarlandes, einen Versuchsaufbau mit Gold-Nanopartikeln zusammengestellt. Die Forschenden wollten beobachten, wie sich Partikel zusammenballen, wenn keine Schwerkraft auf sie wirkt.

Seit mehr als fünf Jahren arbeitet das INM-Team bereits an dem Forschungsprojekt. Schon bei Experimenten im 110 Meter hohen Fallturm in Bremen hatten die saarländischen Forschenden festgestellt, dass sich Feststoffpartikel während der neun Sekunden, in denen im freien Fall keine Gravitation auf sie einwirkt, wesentlich schneller zu Klumpen verbinden als auf dem Erdboden.

Cybersicherheit und die Verbindung mit Künstlicher Intelligenz sind heute ganz
zentrale Themen.»

Prof. Dr. Bernd Finkbeiner, Faculty am CISPA Helmholtz-Zentrum für Informations­sicherheit und Professor für Informatik an der Universität des Saarlandes

Bessere Modelle und neue Materialien entwickeln

Im Rahmen des Weltraumflugs in der Forschungs­rakete, die eine Höhe von 260 Kilometern erreichte und dann an einem Fallschirm sanft zurück zur Erde schwebte, hatten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nunmehr sechs Minuten Zeit, um das Ver­halten der Partikel in Schwerelosigkeit zu beobachten. „Dass wir das Agglomerations­verhalten der Partikel über einen so langen Zeitraum beobachten konnten, bringt uns ein gutes Stück weiter. Je mehr Daten uns zur Verfügung stehen, desto besser können wir unsere Ver­mutungen prüfen“, sagt Kraus. „Noch sind nicht alle Daten ausgewertet. Wir hoffen, bessere Modelle für die Agglomeration zu schaffen und sie für neue Materialien nutzen zu können, beispielsweise für die Elektronik.“

Experimente in der Schwerelosigkeit durchzuführen ist ein sehr spannender Ansatz in der Materialforschung. Sie lenken den Blick auf Prozesse und Eigenschaften von Materialien, die man auf der Erde leicht übersieht. So trägt die Weltraumforschung dazu bei, auch alltägliche, „irdische“ Probleme zu lösen.

Aber es sind nicht nur Materialien, die sich in Schwerelosigkeit verändern – sondern auch Menschen. Damit beschäftigt sich die Weltraummedizinerin Bergita Ganse, die Professorin für Innovative Implantatentwicklung am Universitätsklinikum des Saarlandes (UKS) in Homburg ist. „In fast allen Körpersystemen gibt es Verände­rungen. Es gibt einen Muskelabbau, das Herz schrumpft, das Gehirn wird an manchen Stellen kleiner und man wächst.“ Um durchschnittlich 5,5 Zentimeter werden Menschen in den ersten 24 Stunden im All größer – das liegt daran, dass sich die Bandscheiben ausdehnen. Auf der Erde ange­kommen, schrumpfe der Körper auf die ursprüngliche Größe zurück, so Ganse.

Prof. Dr. Bergita Ganse, Weltraummedizinerin und Professorin für Innovative Implantatentwicklung am Universitätsklinikum des Saarlandes (UKS)
Prof. Dr. Tobias Kraus, Forschungsgruppenleiter am INM und Professor für Kolloid- und Grenzflächen­chemie an der Universität des Saarlandes

Experimente im All liefern der Medizin wichtige Hinweise 

Auch das Gehirn passt sich dem Leben im All an: Nach einem Raumflug lassen sich makrostruk­turelle Veränderungen des Gehirns feststellen, etwa mit Blick auf das Gewebevolumen und die Verteilung und Dynamik der Liquorflüssigkeit. Diese Veränderungen könnten damit zusam­menhängen, dass Reize und soziale Interak­tionen abnehmen. „Der Körper reduziert immer alles, was nicht gebraucht wird. Deshalb stellt sich auch die Frage, ob etwas Ähnliches passiert, wenn wir etwa wegen Corona zu Hause in Iso­lation sind“, so die Weltraumforscherin. Die Experimente im All könnten Hinweise dafür
liefern.

Als Folge von Schwerelosigkeit verschieben sich zudem die Flüssigkeiten im Körper: Die Astronautinnen und Astronauten bekommen ein dickes Gesicht und dünne Beine, weil das Blut nicht mehr von der Schwerkraft nach unten gezogen wird, sondern in Richtung Oberkörper und Kopf wandert. Bei längeren Aufenthalten im Weltall kommt es zum Muskelabbau im ganzen Körper, denn die Muskulatur wird in der Schwerelosigkeit kaum beansprucht. Wenn die Astronautinnen und Astronauten zur Erde zurückkehren, seien ihre Beine am Anfang so weich wie Gummi, erklärt Ganse. „Man muss einige Tage einplanen, bis man wieder normal gehen kann. Bis sich die Knochensubstanz wieder erholt hat, kann es mehrere Jahre dauern.“

Die Erholung von Knochensubstanz ist auch abseits der Weltraumforschung ein Schwerpunktgebiet der Chirurgin. Sie entwickelt nämlich mit ihrem Team intelligente Implantate, die nach Knochenbrüchen zum einen Infor­mationen zum Heilungsverlauf an die behandelnden Ärzte funken – und zum anderen durch mechanische Reize den Wiederaufbau der Knochensubstanz und damit die Heilung vorantreiben. Auf diese Weise sollen die Behandlungsdauer und damit der Leidensweg der Betroffenen verkürzt werden. Das habe auf den ersten Blick nichts mit Weltraum und Schwerelosigkeit zu tun, auf den zweiten aber schon, so Ganse. „Es handelt sich nämlich um exakt dieselben Me­chanismen.“

„Ich bekomme jedes Mal eine Gänsehaut.“


Ein halbes Jahr verbrachte der saarländische ESA-
Astronaut Dr. Matthias Maurer auf der Internatio­nalen Raum­station ISS, bevor er im Mai 2022 auf die Erde zurückkehrte. Hier berichtet er von seinen Erfahrungen.

Herr Maurer, Sie haben Material­wissen­schaften an der Universität des Saarlandes studiert. Welche Aufgaben hatten Sie auf der ISS? 

Forschung ist der Hauptgrund für unsere Reisen ins All. Wir führen Experimente in den Bereichen Medizin und Lebenswissen­schaften, Physik und Material­wissen­schaf­ten durch sowie technolo­gische Experimente mit Bezug zur Raumfahrt. Ich war an etwa 150 verschiedenen Versuchen be­teiligt. Astronauten müssen sich aber auch um die technische Wartung der Raumstation und Alltagsarbeiten kümmern. Samstags hatten wir z. B. Putztag, um die ISS sauber zu halten. Auch das gehört zu den Aufgaben – egal, welche Aus­bildung man hat.

Dazu gehörte sicher auch das Essen mit speziellen Löffeln, die Sie mitgebracht hatten. Was hat es damit auf sich?

Genau, wir haben die ganze Mission über von Edelstahl- und Kupferlöffeln gegessen, die ich extra mitgebracht hatte. Denn diese „Space Spoons“ waren Teil einer Untersuchung darüber, wie sich die antimikrobiotische Wirkung dieser Metalle noch deutlich steigern lässt. Dafür haben Wissenschaftler im Saarland die Löffel mit speziellen Lasern beschossen und so deren Oberfläche ganz fein strukturiert. Diese Struktur sollte nun dafür sorgen, dass Mikroben, die sich dort ablegen, abgetötet werden. Die Experimente werden aktuell noch ausgewertet. 

Einmal selbst ins Weltall zu fliegen ist an sich schon unglaublich. Aber was war Ihr schönster Moment? 

Mein Außeneinsatz war sicher ein absolutes Highlight, auch wenn anfangs fast alles schieflief, was schiefgehen kann. Am Ende hat jedoch alles wie geplant funktioniert. Aber es gab jeden Tag tolle Momente: Allein wenn ich an den Blick aus der Cupola – dem Fenster der ISS – zurückdenke, bekomme ich jedes Mal Gänsehaut. Die Erde da unten zu sehen, total blau und weiß und dahinter ein unglaublich tiefes Schwarz. Das ist wahn­sinnig beeindruckend.