„Wir gehen in eine neue Ära der Stahlherstellung“
Weg von der Kohle, hin zu Wasserstoff und elektrischem Strom: Im Saarland soll in wenigen Jahren CO2-neutraler Stahl hergestellt werden. Stefan Rauber und Reinhard Störmer blicken im Doppelinterview auf die Zukunftsaussichten der saarländischen Stahlindustrie.
Herr Rauber, wie zeitgemäß ist es, bei der Stahlherstellung Millionen Tonnen CO2 zu emittieren?
Rauber: Das ist überhaupt nicht mehr zeitgemäß, und deshalb leisten wir mit unserem Transformationsprojekt einen maßgeblichen Beitrag zum Klimaschutz in Deutschland. Vorbehaltlich öffentlicher Förderungen werden wir künftig über eine sogenannte Direktreduktionsanlage und zwei Elektrolichtbogenöfen produzieren, damit gehen wir in eine neue, umweltfreundlichere Ära der Stahlherstellung. Direktreduktion bedeutet, dass mit Hilfe von Erdgas oder Wasserstoff Eisenerz zu Eisenschwamm umgewandelt wird. Statt also wie bisher Kokskohle zu verwenden, nutzen wir in Zukunft klimaschonende Reduktionsmittel zur Stahlherstellung. So werden wir schon bis 2030 die „Fit for 55“-Ziele der Europäischen Union erreichen. Mit diesem Umbau werden wir zum Vorreiter in Deutschland und in Europa.
Herr Störmer, wie unterscheiden Sie sich von Wettbewerbern, die ebenfalls ihre Stahlherstellung umstellen?
Störmer: Neben technischen Unterschieden ist die Menge des eingesparten CO2 entscheidend. Wir wollen mit dieser neuen Herstellungsmethode 3,5 Millionen Tonnen Stahl herstellen und dabei 4,9 Millionen Tonnen CO2 pro Jahr bis 2030 einsparen. Indem wir sofort 70 Prozent unseres Stahls emissionsärmer herstellen, gehen wir den größten Schritt unter den deutschen Stahlproduzenten.
Wie viel werden Sie investieren und wann soll es losgehen?
Rauber: Wir werden etwa 3,5 Milliarden Euro investieren und setzen die ersten Maßnahmen bereits um. Förderkonform bereiten wir das Baufeld am Standort Völklingen vor, investieren in eine Trafoanlage in Dillingen und arbeiten an der Infrastruktur im Umfeld. Die großen Aufträge für die Elektrolichtbogenöfen und die Direktreduktionsanlagen werden wir voraussichtlich im Frühjahr 2024 vergeben, wenn die baurechtlichen Genehmigungen und die Förderzusagen vorliegen. Damit rechnen wir im Laufe dieses Jahres. Ende 2026 beginnen wir mit der Testphase und gehen Anfang/Mitte 2027 voll in die Produktion.
Warum liegen die Förderzusagen noch nicht vor?
Störmer: Was wir vorhaben, hat es in Deutschland so noch nie gegeben. Hierzulande gibt es keine Direktreduktionsanlagen, außerdem sind unterschiedliche Verfahren auf dem Markt. Für die Förderungen müssen wir drei Quellen kontaktieren: Land, Bund und EU. Dort müssen wir jeweils das Projekt einer Vielzahl von Entscheidern erklären. Das kostet Zeit. Aber zugegeben, die Materie ist komplex, auch wir lernen täglich dazu.
Was wir vorhaben, hat es in Deutschland so noch nie gegeben.»
Reinhard Störmer, Vorsitzender der Montan-Stiftung Saar & Vorsitzender der Aufsichtsräte von: SHS – Stahl-Holding-Saar GmbH & Co. KGaA, der Saarstahl AG, der Dillinger Hüttenwerke und der Dillinger Hütte Saarstahl AGWas bedeutet die Umstellung für Sie als Unternehmen?
Rauber: Wir kommen aus einer 350-jährigen Geschichte der Stahlherstellung auf Basis von Koks und Eisenerz. Das hat Generationen von Mitarbeitenden und die ganze Region stark geprägt. Nun ändern wir das – radikal –, und das zieht einen starken kulturellen Wandel nach sich, den wir erklären müssen. Das ist uns gelungen: Alle wissen, was und warum wir es wollen, all unsere Mitarbeitenden stehen hinter dem Jahrhundertprojekt. Außerdem ersetzt die neue Technologie nicht nur Anlagen und der Rest bleibt beim Alten. Die Umstellung erfordert umfassende neue Fähigkeiten, Kompetenzen und Prozesse, die eingeübt werden müssen.
Was heißt das konkret für den Standort Dillingen?
Störmer: Vorbehaltlich öffentlicher Förderungen werden die klassischen Hochöfen schrittweise abgeschaltet, die Kokerei, in der bisher der benötigte Koks hergestellt wurde, wird nach der Abschaltung des zweiten Hochofens geschlossen. Dafür wird ein Elektrolichtbogenofen zum Einsatz kommen, in dem nicht mehr nur Roheisen, sondern auch Schrott eingeschmolzen wird. Davon werden etwa zwei Millionen Tonnen pro Jahr verarbeitet, dafür brauchen wir eine ganz neue Logistik. Alles, was zu diesem neuen Verfahren gehört, muss unsere Belegschaft 2027 beherrschen, wenn wir an den Start gehen. Wir sind mit umfangreichen Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen auf einem guten Weg.
Wie schaffen Sie es, in Zukunft konkurrenzfähig zu bleiben?
Rauber: Am Ende muss es gelingen, unsere CO2-neutralen Produkte zu verkaufen. Hier erwarten wir von der Politik in Deutschland und Europa, dass entsprechende Leitmärkte geschaffen werden, denn ohne diese wird es nicht gehen. Eine Regierung kann einerseits nicht fordern, dass alles grün und nachhaltiger werden soll, und andererseits diese Transformation nicht entsprechend unterstützen. Gegenüber Konkurrenten, die ihren Stahl weiterhin auf herkömmliche Weise herstellen, hat ein CO2-neutrales Produkt sonst preislich keine Chance.
Woher wird der Wasserstoff kommen, den Sie brauchen werden?
Störmer: Das Fernziel ist, den Wasserstoff über eine Leitung aus Frankreich zu beziehen, die direkt nach Dillingen führt. Aber schon in der ersten Phase bis 2030 brauchen wir jährlich über 55.000 Tonnen Wasserstoff, der regional hergestellt wird. Wir schaffen uns damit unseren eigenen Markt. Da wir den regionalen Energieanbietern Abnahmegarantien geben können, sind sie bereit, in entsprechende Anlagen zu investieren. Diese werden im Saarland gebaut und die Erstversorgung sicherstellen.
Am Ende muss es gelingen, unsere CO2-neutralen Produkte zu verkaufen. Hier erwarten wir von der Politik in Deutschland und Europa, dass entsprechende Leitmärkte geschaffen werden, denn ohne diese wird es nicht gehen.»
Stefan Rauber, seit Juli 2023 neuer Vorsitzender der Geschäftsführung der SHS – Stahl-Holding-Saar GmbH & Co. KGaA und Vorstandsvorsitzender der beiden Stahlunternehmen Dillinger und Saarstahl AGWasserstoff ist teuer, elektrischer Strom auch. Welche Rolle spielen die Energiepreise für Sie in Zukunft?
Rauber: Im Vergleich zu den USA ist der Strompreis in Deutschland deutlich höher. Da sollte sich niemand wundern, wenn die hiesige Industrie beginnt, über den Standort nachzudenken. Der Energiepreis ist der entscheidende Wettbewerbsfaktor, und energieintensive Branchen, zu denen wir gehören, brauchen zwingend einen Industriestrompreis. Die bisherigen politischen Ankündigungen nehmen wir beim Wort – weil wir es müssen. Wir haben ein klares Bekenntnis zum Saarland abgegeben, und nun erwarten wir ein ebenso klares Bekenntnis der Bundes- und Europapolitik uns gegenüber.
Ist CO2-neutraler Stahl auch für Ihre Kundinnen und Kunden wichtig?
Störmer: Unsere Kunden – und deren Kunden – wollen ihren CO2-Fußabdruck senken. Deshalb wird das Thema auch für uns, die am Anfang der Wertschöpfungskette stehen, wichtig. Nehmen wir die Monopiles, die Stahlfundamente, auf denen Offshore-Windkraftturbinen stehen. Hier sind wir Weltmarktführer, und es wäre nicht zu vermitteln, wenn gerade diese Bleche künftig nicht CO2-neutral hergestellt werden. Ähnliches gilt für den Transport, die Autobranche und zahlreiche andere Industrien, aus denen es bereits viele konkrete Anfragen gibt. Für sie ist es wichtig, in Zukunft auf einen zuverlässigen Partner für CO2-neutralen Stahl setzen zu können. Dieser Partner wollen und werden wir sein.
Was bedeutet CO2-neutraler Stahl für das Saarland: Risiko oder Chance?
Rauber: Wir schaffen damit eine Zukunft für unsere Unternehmen und die Mitarbeitenden. Und wir schaffen einen Wasserstoffmarkt für die gesamte Region. Hinzu kommt: Es entstehen neue Berufsbilder und Arbeitsplätze, die es heute noch nicht gibt. Wir machen das Saarland attraktiv für andere Unternehmen, die sich hier ansiedeln. So werden wir den CO2-neutralen Stahl zu einer echten Chance für das Saarland machen. Ohne die Unterstützung der Politik wird das aber – gerade in der Übergangsphase bis 2030 – nicht funktionieren.