Author: HDW
Von Wegen Saarland #1: Thilo Nast
Saar-Universität stärkt ihren Europa-Schwerpunkt
Saar-Universität stärkt ihren Europa-Schwerpunkt.
Kooperation mit der Villa Vigoni am Comer See
Die Universität des Saarlandes startet eine Kooperation mit der Villa Vigoni, dem Deutsch-Italienischen Zentrum für den Europäischen Dialog am Comer See. Unter dem Titel „Exzellenzlabor Europa“ entsteht dabei ein internationales Diskussionsforum der Europaforschung in den Kultur- und Sozialwissenschaften. Zum Auftakt findet vom 9. bis 13. September 2021 in der Villa Vigoni die Sommerschule „Restitution, Reparationen, Reparation – Wege zu einer neuen Weltgesellschaft?“ statt.
Der Kooperationsvertrag wird am 11. September im Rahmen eines Festaktes unterzeichnet.
Die Villa Vigoni gilt als einer der bedeutendsten Orte für die deutsch-italienische Wissenschaftskooperation und als wichtige Plattform für den interdisziplinären Dialog auf europäischer Ebene. Mit der Vereinbarung zur gemeinsamen Einrichtung eines „Exzellenzlabors Europa“ kann die Universität des Saarlandes ihren Europa-Schwerpunkt wesentlich stärken und profilieren. Sie ist – neben den Universitäten in Frankfurt/Main und Hamburg – die dritte Universität in Deutschland, die eine Kooperation mit der Villa Vigoni eingeht.
Das„Exzellenzlabor Europa“, das künftig einmal im Jahr in der Villa Vigoni stattfinden soll, richtet sich insbesondere an junge Kultur- und Sozialwissenschaftler.
„In diesem Diskussionsforum für jüngere Forscherinnen und Forscher wollen wir in den kommenden Jahren interdisziplinäre Reflexionen über europäische Themen anregen und Fragestellungen diskutieren, die Europas Beziehungen in und zur Welt thematisieren“, erklärt Markus Messling. Der Saarbrücker Professor für Romanische Kulturwissenschaft und Interkulturelle Kommunikation hat gemeinsam mit der Komparatistin Prof. Christiane Solte-Gresser das diesjährige erste Exzellenzlabor Europa initiiert, das vom 9. bis 13. September in der Villa Vigoni am Comer See stattfindet – als internationale Sommerschule für 18 Doktorandinnen und Doktoranden aus verschiedenen Ländern Europas.
Mit einem Festakt wird die Kooperation am 11. September von der Generalsekretärin der Villa Vigoni Dr. Christiane Liermann Traniello und Universitätspräsident Prof. Manfred Schmitt in der Villa Vigoni eröffnet. Die Festrede hält Prof. Patricia Oster-Stierle, Vorsitzende des Clusters für Europaforschung der Universität des Saarlandes (CEUS), das das Exzellenzlabor Europa koordiniert und verantwortet. Im Anschluss findet eine Lesung mit Gespräch mit der Schriftstellerin Helena Janeczek statt, die 2018 mit dem „Premio Strega“, dem wichtigsten Literaturpreis Italiens, ausgezeichnet wurde. Lesung und Gespräch werden moderiert von der Literaturkritikerin, Autorin und Journalistin Dr. Maike Albath.
„Wir sind sehr stolz über die Gelegenheit, durch die Kooperation künftig jedes Jahr internationale Geisteswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler in der Villa Vigoni zusammenzubringen“, freut sich Universitätspräsident Manfred Schmitt. „Das ‚Exzellenzlabor Europa‘ trägt auch dazu bei, den Europa-Schwerpunkt der Universität des Saarlandes weiterzuentwickeln und nachhaltig zu stärken.“
Die internationale Sommerschule widmet sich unter dem Titel „Restitution, Reparationen, Reparation – Wege zu einer neuen Weltgesellschaft?“ der Frage nach den ethischen Konsequenzen, die mit dem Ruf nach materiellen Reparationen verbunden sind. Unter anderem soll darüber diskutiert werden, wie sich Europa in der aktuellen Zeit der Krise, in der sich alte Machtstrukturen fortsetzen und soziale Ungleichheiten wachsen, positionieren sollte. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Sommerschule können sich dazu mit renommierten internationalen Gästen austauschen.
Gäste der Sommerschule sind die Literaturwissenschaftlerin Aurélia Kalisky (Berlin) mit ihrer Forschung über Zeugenschaft im Kontext der Shoah und kolonialer Verbrechen, die Autorin Igiaba Scego (Rom), die in ihrem Werk die Erfahrung von Trauma und die Möglichkeiten der Heilung in (post-)kolonialen Zusammenhängen thematisiert, sowie die Soziologin Angelica Pesarini (Toronto) und der Kulturanthropologe Jonas Tinius (Saarbrücken), die sich mit gesellschaftlichen Voraussetzungen und Konsequenzen dekolonialer Museumsarbeit in Italien und Deutschland auseinandersetzen; darüber hinaus die Schriftstellerin Helena Janeczek (Mailand) mit ihrem literarischen Werk zu Erinnerung und Shoah sowie der Philosoph Olivier Remaud (Paris), der in seiner aktuellen Publikation „Penser comme un iceberg“ Mensch-Natur-Verhältnisse neu denkt.
Die Kooperation zwischen der Villa Vigoni und der Universität des Saarlandes verdankt sich der Initiative von Dr. Christiane Liermann Traniello, Generalsekretärin der Villa Vigoni, und von Prof. Markus Messling. Von Seiten der Universität des Saarlandes werden im diesjährigen „Exzellenzlabor“ zwei Leuchttürme im Europa-Schwerpunkt zusammengeführt – das DFG-Graduiertenkolleg „Europäische Traumkulturen“ und der ERC Grant „Minor Universality. Narrative World Productions After Western Universalism“. Das Cluster für Europaforschung (CEUS) der Universität des Saarlandes, in dessen Collegium Prof. Messling und Prof. Solte-Gresser Mitglieder sind, hat als fakultätsübergreifende Plattform im Europa-Schwerpunkt den Auftrag, dieses interdisziplinäre Format zu koordinieren.
Das Diskussionsforum in der Vigoni über aktuelle gesellschaftspolitische Themen erlaubt es uns, gemeinsam und im Gespräch nachzudenken. Besonders freue ich mich über die Chancen, die unsere Kooperation für die Doktorandinnen und Doktoranden hat – denn gerade für die jungen Kolleginnen und Kollegen in den Kultur- und Sozialwissenschaften ist die Erfahrung wichtig, dass Kulturreflexion eine gesellschaftliche Bedeutung hat.«
Prof. Markus MesslingHintergrund:
Die Villa Vigoni e. V. ist ein bilateraler Verein, der 1986 durch die Bundesrepublik Deutschland und die Republik Italien gegründet wurde. Als Deutsch-Italienisches Zentrum für den Europäischen Dialog engagiert sich die Villa Vigoni für die deutsch-italienischen Beziehungen und die Zusammenarbeit in europäischer Perspektive und setzt sich für Ausbau und Vertiefung eines Dialogs in Wissenschaft, Kultur, Politik und Gesellschaft ein. Von diesem Schwerpunkt aus bietet die Villa Vigoni heute einen Ort der interkulturellen Begegnung und Diskussion für eine weite Spanne an Themen und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der ganzen Welt. Seit vielen Jahren bestehen ebenfalls trinationale Programme in deutsch-italienisch-französischer Kooperation.
Das Cluster für Europaforschung (CEUS) hat das Ziel, die Universität des Saarlandes in den kommenden Jahren als eine der führenden Europa-Universitäten Deutschlands zu etablieren. Es geht aus dem 2012 gegründeten Europa-Kolleg hervor und wurde 2020 neu strukturiert. Als zentrales und interdisziplinäres Forschungs- und Kompetenzzentrum der Universität im Themenfeld Europa vernetzt das CEUS die Europa-Akteure der Universität, um fachübergreifende Verbundaktivitäten in Forschung und Lehre zum Gegenstand Europa auf Exzellenzniveau zu generieren, zu bündeln und nachhaltig für den Universitätsstandort Saarland fruchtbar zu machen.
Dieser Text wurde urprünglich von der Universität des Saarlandes veröffentlicht.
Interview Pharmazieforschung im Saarland: Auf dem Weg nach ganz oben
Interview Pharmazieforschung im Saarland: Auf dem Weg nach ganz oben
Eine hohe zweistellige Millionenförderung und der hochdotierte Leibniz-Preis sind Basis für den zukünftigen Quantensprung in der saarländischen antibakteriellen und antiviralen Wirkstoffforschung. Ziel sind neue Lösungen für globale Probleme in der Humanmedizin. Wir sprachen mit Professor Rolf Müller, Professor für Pharmazeutische Biotechnologie an der Universität des Saarlandes (UdS) und Direktor des Helmholtz-Instituts für Pharmazeutische Forschung Saarland (HIPS), einem Standort des Helmholtz-Zentrums für Infektionsforschung (HZI).
Mit dem Preis wurden unsere Arbeiten auf dem Gebiet der Naturstoffforschung und der Biomedizinischen Mikrobiologie ausgezeichnet. Unser Fokus liegt hierbei auf der Entdeckung und Entwicklung neuer Substanzen zur Bekämpfung antibiotikaresistenter Krankheitserreger, deren Behandlung in den Kliniken immer mehr Probleme machen. Dass generell ein hoher Bedarf für neue Wirkstoffe zur Behandlung von Infektionserkrankungen besteht, zeigt nicht zuletzt die aktuelle Covid-19 Pandemie.
Im Vordergrund unserer Arbeiten steht die Entwicklung neuer Antibiotika. Um hier die Erfolgsaussichten zu verbessern, bauen wir unsere Aktivitäten in der Naturstoff-Forschung, Medizinalchemie und der Mikrobiomforschung weiter aus und legen besonderen Wert auf die Entwicklung der Bio- und Chemieinformatik. Es geht darum, die riesigen Datenmengen, die im Rahmen moderner Wirkstoff-Forschung generiert werden, möglichst effizient zu verwerten und daraus Vorhersagen abzuleiten. Gerade die Schnittstelle Informatik/Medizin/Pharmazeutische Forschung bietet ideale Voraussetzungen, um aus der Grundlagenforschung heraus neue Diagnose- und Therapieverfahren zu entwickeln.
Bei der Antibiotikaentwicklung haben sich die meisten Pharmafirmen leider aufgrund ökonomischer Faktoren aus der aktiven Forschung zurückgezogen. Wir wollen durch unsere oft kooperativen Projekte mit (inter)nationalen Partnern dazu beitragen, dass auch in Zukunft noch wirksame und sichere Antibiotika zur Verfügung stehen.
Zusammen mit der Medizin und der Informatik der UdS, sowie dem Leibniz-Institut für Neue Materialien (INM) haben wir 2019 bereits die Forschungsallianz Pharmazeutische Forschung ins Leben gerufen, die erfolgreich Forschungsgruppen in gemeinsamen Wirkstoff-Projekten zusammenbringt. Neben der Grundlagenforschung haben wir aber immer auch die Überführung unserer Ergebnisse in die praktische Anwendung im Blick. Wir konnten in der Vergangenheit mehrfach zeigen, dass sich Biotechnologie-Ausgründungen sehr erfolgreich in der saarländischen Wirtschaftslandschaft ansiedeln und dort bestehen können. Für die Zukunft erwarten wir weiterhin Ausgründungen im Bereich der Wirkstoffforschung.
Herausragend ist die Entwicklung des Saarland Informatics Campus, der nun immer mehr in die interdisziplinäre Anwendung geht. Gemeinsam mit Pharmazie und Medizin entwickeln sich hervorragende Chancen für Ausgründungen und Ansiedlungen. Auch hier spielen neben der Universität die außeruniversitären Forschungseinrichtungen eine tragende Rolle. Es ist außergewöhnlich, wie gut diese Institutionen im Saarland miteinander interagieren und sich trotz der unterschiedlichen Widmungsaufträge hervorragend ergänzen.
Im Saarland gehen die meisten Tätigkeiten mit kurzen Wegen und positiven persönlichen Interaktionen einher. Man pflegt meist den unkonventionellen und pragmatischen Weg zum Ziel, was der Forschung sehr zu Gute kommt. Zudem gibt es gute Chancen für Fachkräfte und viel Unterstützung für die Wissenschaft aus der Politik. Bestes Beispiel dafür ist die Förderung für den Ausbau des HIPS durch Bund und Land, für die wir sehr dankbar sind. Zuletzt möchte ich die hervorragende Lebensqualität erwähnen. Diese spiegelt sich nicht nur im guten Essen wider, sondern auch in einer grundsätzlichen Einstellung hin zur schnellen Problemlösung.
SVOLT Interview
SVOLT
Interview
Zitatgeber: Kai-Uwe Wollenhaupt, President SVOLT Europe und Maxim Hantsch-Kramskoj, Vice President Sales & Marketing SVOLT Europe
Das Zentrum des europäischen Wirtschaftsraums
Kai-Uwe Wollenhaupt (KUW): „Wir haben uns für dieses Motiv entschieden, weil es ein Symbol für die alte und die neue Industriekultur im Saarland ist. Das Polygon ist ein Denkmal für den Steinkohlebergbau im Saarrevier und steht damit für die Vergangenheit. Die stählerne Skulptur ist aber auch so gestaltet, dass sie aus jeder Richtung eine andere Form annimmt und zeigt damit, wie wandelbar das Saarland und seine Industrielandschaft ist.“
Maxim Hantsch-Kramskoj (MHK): „Für mich bedeutet Heimat einen Rückzugsort zu haben – in einer Region, die vor allem durch ihre Automobil- und Zuliefererindustrie Sicherheit, Wohlstand und Chancen bietet, aber auch viele Orte der Erholung hat. Meine Heimat, das Saarland, ist dank der Nähe zu Frankreich auch geprägt durch die kulturelle Diversität, durch die herzliche und offene Willkommenskultur und natürlich durch die Nähe zur Pfalz mit den hervorragenden Weinen.“
KUW: „Ich bin gebürtiger Dortmunder, war in meiner Karriere aber international viel unterwegs, deshalb ist meine Heimat immer dort, wo meine Familie ist. Seit vielen Jahren ist das die Region Frankfurt am Main. Dort genieße ich die Mischung aus Internationalität, der Lage in der Mitte von Deutschland und das vielseitige Umland mit Main und Rhein sowie die Naherholungsgebiete im Taunus.“
MHK: „Das Saarland ist ein über Jahrzehnte gewachsener Industriestandort im Herzen Europas. Heute verbindet das Land einen starken Fokus auf die Stahl- und Automobilindustrie mit weltweit anerkannter Exzellenz im Bereich IT- und IT-Sicherheit sowie Forschung und Innovation.“
KUW: „Auf der Suche nach einem passenden Standort haben wir zwischen 2019 und 2020 über 30 Standorte in ganz Europa in einem intensiven Auswahlprozess untersucht. Letztendlich fiel die Wahl auf das Saarland. Als moderner Industrie-, Logistik- und Innovationsstandort bietet das Saarland SVOLT die Möglichkeit, hochqualifizierte Mitarbeiter zu akquirieren. Es zeichnet sich darüber hinaus durch die zentrale Lage im Zentrum des europäischen Wirtschaftsraums, eine hervorragende Infrastruktur sowie ein florierendes Umfeld mit international erfolgreichen Unternehmen aus. Das saarländische Wirtschaftsministerium und die SHS Strukturholding Saar GmbH als lokale Projektpartner haben die Gespräche mit SVOLT von Beginn an sehr hochrangig geführt und eng in der Landesregierung koordiniert. Diese Unterstützung hat zusätzlich überzeugt.“
MHK: „Wir bei SVOLT sind überzeugt: Kaum eine Maßnahme wird einen größeren Beitrag zum Klimaschutz leisten als die flächendeckende Verbreitung der Elektromobilität. Die Erschwinglichkeit und damit Massentauglichkeit der Elektromobilität steht und fällt mit der Leistungsfähigkeit der Batterien in Elektrofahrzeugen. Die Elektromobilität zukunftsfähig machen – das ist unsere Mission. Deswegen stehen die Stellschrauben Sicherheit, Wirtschaftlichkeit, Nachhaltigkeit und Energiedichte im Mittelpunkt unserer.“
KUW: „Angesichts der langjährigen, erfolgreichen Automobilbautradition in der Region sind wir überzeugt davon, dass auch das Auto von morgen im Saarland gebaut wird. Das Saarland ist ein Standort mit weltweit anerkannter Automotive-Expertise und herausragender Innovationskraft. Unsere geplante Ansiedlung zeigt außerdem die Zukunftsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes.“
MHK: „Wir freuen uns, im Saarland für unsere Batteriefabriken einen Innovationsstandort gefunden zu haben und gestalten damit den Strukturwandel aktiv mit. Inspiriert vom saarländischen Pioniergeist haben auch wir uns ein hohes Ziel gesetzt: Wir wollen Vorreiter in der CO2-neutralen Batteriefertigung werden. Dem Saarland wünschen wir eine gleichermaßen erfolgreiche wie nachhaltige Zukunft als Wirtschaftsstandort in Deutschland.“
Über die Erfindung der industriellen Revolution 4.0
Über die Erfindung der industriellen Revolution 4.0.
So gelingt die Fabrik der Zukunft
Reifen melden sich, bevor sie abgelaufen sind. Hydrauliköl wird nicht in Intervallen ausgetauscht, sondern wenn es nötig ist. Industrielle Künstliche Intelligenz macht neue Services für bestehende Produkte möglich – eine Wachstumschance für die deutsche Industrie.
Die Autofabrik der Zukunft. Eine lichtdurchflutete, 30 Fußballfelder große Halle. 400 fahrerlose Transportfahrzeuge bringen Antriebe, Karosserien und Fahrzeugteile an ihren Verarbeitungsort. Gebaut wird nach Bestellung. Ganz egal, ob Limousine, SUV oder Kompaktwagen. Mit Hilfe von Hängedrehförderern, Schubplattformen und Robotern hieven Mitarbeiter Fahrzeugteile in optimale Arbeitspositionen. Verbunden ist alles mit allem. Maschinen, Anlagen, Fahrzeuge und über Datenbrillen oder Tablets auch der Mensch. Eine Hochleistungsvernetzung aus W-Lan und 5G-Mobilfunk stellt sicher, dass alle Daten der gesamten Wertschöpfungskette des Herstellers zugutekommen. „Factory 56″ nennt Daimler sein Konzept einer Autofabrik der Zukunft, das schrittweise auf alle Mercedes-Benz-Pkw-Werke übertragen werden soll.
Industrie 4.0 – Eine Idee aus dem Saarland
Wenn Maschinen, Geräte, Sensoren und Menschen sich miteinander vernetzen, reden wir von der vierten industriellen Revolution, kurz „Industrie 4.0″. Eine deutsche Erfolgsgeschichte. Zu der das Saarland wichtige Kapitel beigesteuert hat. Denn hier findet sich eine in seiner Dichte seltene Kombination von exzellenten Unternehmen und Forschungseinrichtungen mit Kompetenzen in den Bereichen Hardware, Software und Konnektivität – also die wesentlichen Treiber für die Realisierung von Industrie 4.0-Konzepten. So wundert es kaum, dass die Idee zum Begriff von einem Saarländer stammt. Wolfgang Wahlster trug ihn zur Hannovermesse 2011 mit den Physikern Henning Kagermann und Wolf-Dieter Lukas erstmals in die Öffentlichkeit. „Wenn das Internet in die Fabriken kommt, haben wir cyberphysische Systeme”, sagt Wahlster, der bis 2019 Direktor des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Saarbrücken war. „Uns war aber klar, dass wir etwas Griffigeres brauchten, obwohl cyberphysische Produktion fachlich korrekt ist.” So entstand der Begriff der „Industrie 4.0″, der auch in internationalen Veröffentlichungen heute oft mit „ie” geschrieben wird. Ein Hinweis darauf, dass man nicht das Silicon Valley kopieren muss, um in der digitalen Ära Erfolg zu haben. „Unser Ansatz war es, Zentren technologischer Forschung sehr nahe an industrielle Ökosysteme heranzuziehen”, sagt Wahlster, ein weltweit renommierter Experte für Künstliche Intelligenz im industriellen Kontext. „Das Saarland ist ein Produktions- und Autoland. Da macht es absolut Sinn, sich dort jetzt intensiv mit industrieller Künstlicher Intelligenz zu beschäftigen.” Zumal im kleinen Saarland die Wege zwischen industrieller Produktion, Wissenschaft und politischen Entscheidern so kurz sind wie sonst kaum in Deutschland.
Roboter bewegen sich schon mal so, wie es der Mensch gerade nicht erwartet.»
Tim SchwartzRoboter mit Feingefühl
Durch das Zusammenwirken der Datenströme in Echtzeit tritt Industrie 4.0 in eine neue Phase ein – kombiniert mit schnellen 5G-Netzen, optimiert mit Künstlicher Intelligenz (KI). Roboter lernen Arbeitsschritte in Umgebungen, die ihren zukünftigen realen Einsatzorten entsprechen. Mit dem „Zentrum für Mechatronik und Automatisierungstechnik” (ZeMA) besitzt das Saarland ein ideales Testfeld für derlei Anwendungen. Airbus, VW, Bosch, Festo und andere Industriegrößen haben dessen Expertise bereits genutzt.
Wer die Halle in Saarbrücken betritt, hört das Surren von Drohnen. In einem durch Netze gesicherten Bereich schwirren die Fluggeräte über Industrie-Robotern, die mit menschlichen Kollegen gemeinsam in einer Werkstatt arbeiten. „Roboter bewegen sich schon mal so, wie es der Mensch gerade nicht erwartet”, sagt Tim Schwartz, der sich am DFKI mit kognitiven Assistenzsystemen beschäftigt. „Aber ein Mensch soll nicht bedroht werden, sich nicht mal so fühlen.” Die Daten aus der Drohnen-Kamera stellten sicher, dass der Roboter die Nähe eines Menschen erfasst und seine Bewegung bereits vor dem Kontakt abbricht. „Das neuronale Netz des Roboters ist dabei die ganze Zeit mit dem Kamerabild verbunden”, sagt Schwartz.
Die Roboter-Mensch-Interaktion muss nahtlos vonstattengehen um eine individualisierte Produktion zu ermöglichen. Tim Schwartz forscht zu kognitiven Assistenzsystemen am DFKI in Saarbrücken.
Ein zukunftweisender Test. Moderne Leichtbau-Roboter halten dank ihrer intrinsischen Sensorik zwar inne, wenn die Gegenkraft zu groß wird. „Das ist aber keine Kollisionsvermeidung”, sagt Schwartz. „Dann hat es meist schon gekracht.” Die Lösung könnte ein Roboter sein, der schon vorher stoppt, etwa der APAS von Bosch.
Bei bisherigen Einsätzen in der Industrie habe sich gezeigt, dass Menschen mit ihren sensorischen und kognitiven Fähigkeiten sich nach wie vor schneller an neue Umgebungen und Aufgaben anpassen können als Roboter, sagt Rainer Müller, wissenschaftlicher Geschäftsführer des ZeMA. „In der Wahrnehmung und Vorausschau von Situationen ist der Mensch den technischen Systemen noch überlegen, wie auch die Herausforderungen bei der Einführung von autonom fahrenden Fahrzeugen im Straßenverkehr zeigen.“ Wenn KI-Technologien Daten auswerten und sich daraus Handlungsempfehlungen ableiten lassen, brauchte es Müller zufolge auch in Zukunft die Expertise der Ingenieure, diese Empfehlungen zu hinterfragen und möglicherweise abweichende Entscheidungen zu treffen.
Denn Künstliche Intelligenz soll die individualisierte Produktion vorantreiben, ohne den Menschen auszuklammern. Für Antonio Krüger, CEO des DFKI, ist sie der zentrale Faktor für den Erfolg von Industrie 4.0. „KI ermöglicht für individuelle Kunden die preislich konkurrenzfähige Produktion von Einzelanfertigungen oder Kleinstserien.“ KI helfe bei der Flexibilisierung der Lieferketten, der Qualitätssicherung sowie bei der Schonung von Ressourcen und beim Recycling. Kleine und mittlere Unternehmen könne sie in projektorientierte Produktionsverbünde verwandeln. „Industrielle KI für das Management von Produktionslinien hilft auch dabei, Umrüstzeiten zu reduzieren“, sagt Philipp Slusallek, Standortleiter des DFKI.
Cobots, also Roboter, die Hand in Hand mit Menschen arbeiten, gelten als Wegbereiter einer flexiblen Produktion bis hin zur „Losgröße 1″ – einer umfassenden Individualisierung der Produktion, die bereits heute in der Automobilindustrie Realität ist. Der Variantenreichtum jedes Modells sorgt dafür, dass bald fast jedes Auto ein Unikat ist.
„Wir müssen nicht nur Menschen weiterbilden, sondern auch Maschinen”, sagt Andreas Schütze, Professor für Messtechnik an der Universität des Saarlandes. Sein Team forscht derzeit an einem neuen Wartungssystem, das Zustandsdaten von Maschinen feststellt und interpretiert. „Künstliche Intelligenz funktioniert durch Mustererkennung”, sagt Schütze. „Passiert etwas völlig Neues, stößt so ein System an seine Grenzen. Wir erkennen mit der sogenannten Novelty Detection auch unbekannte Vorfälle.”
Wir müssen nicht nur Menschen weiterbilden, sondern auch Maschinen.«
Andreas SchützeTeam aus Saarbrücken forscht am Unbekannten
Im ZeMA wird derzeit in einer Testreihe die Abnutzung von Stoßdämpfern untersucht. Jedes Gerät vibriert, rüttelt, brummt oder erhitzt auf seine ganz eigene Weise. Condition Monitoring, also die ständige Überwachung des Zustandes durch KI, ist geldwertes Wissen für jedes Industrieunternehmen. Ein KI-gestütztes Multisensorsystem, das etwa die Viskosität von Öl messen und auf den optimalen Zeitpunkt zum Austausch hinweisen kann, ist besser als eine starre, intervallbasierte Wartung. Am Thema vorausschauende Wartung arbeitet auch das von August-Wilhelm Scheer gegründete Start-up IS Predict in Saarbrücken. „Vorausschauende Wartung verhindert ungeplante Stillstände, ermöglicht Termintreue und Planungssicherheit,“ sagt Slusallek.
Das Rückgrat der KI muss dabei nicht unbedingt ein Rechenzentrum sein. Beim Edge Computing werden Daten direkt an der Quelle verarbeitet und in Echtzeit verfügbar gemacht. „Gerade produzierende Unternehmen sind vorsichtig mit Daten”, sagt Schütze. „Sie wollen nicht, dass ein Konkurrent ablesen kann, wie viele Stückzahlen gerade produziert werden.” Spezialrechner in der Fabrik, Auswertung direkt vor Ort – ein Zukunftsmodell, zu dem im Saarland ebenso praxisnah geforscht wird wie zur digitalen Veredelung von Bestandsanlagen, Energieinformatik oder der Mensch-Roboter-Kollaboration.
Beim Edge Computing hat Deutschland weltweit derzeit noch einen Vorsprung von zwei bis drei Jahren, wie Wolfgang Wahlster schätzt. Umso wichtiger erscheint es deshalb, jetzt in Standorte zu investieren, die Geschäftsmodelle „as-a-Service” ermöglichen. Kunden erhalten damit zusätzlich zum Produkt eine durch KI ermöglichte Dienstleistung. Michelin etwa bietet intelligente Reifen für Flugzeuge an, die die Anzahl der Landungen misst und den Verschleiß meldet. Wenn eine Schweißstation von Bosch in Indien ein halbes Prozent besser arbeitet, werden alle Stationen des weltweiten Netzwerks angepasst. Die Fernwartung von Geräten oder das Einspielen von Updates geschieht im Hintergrund, der Mensch greift nur ausnahmsweise ein. Am Zentrum für Mechatronik und Automatisierungstechnik in Saarbrücken forscht Andreas Schütze mit seinem Team zu KI-gestützten Wartungssystemen. Ziel der Forschung ist es industrielle Anwendungen effizienter aber auch sicherer zu gestalten.
Neue Batterienfabrik entsteht im Saarland
Und doch geht es nicht ohne Manpower. Im industriellen Bereich brauchen wir neben Daten auch Ingenieurwissen, das sich über Jahrhunderte herausgebildet hat. Wer ein kompliziertes Getriebe anhand von Geräuschdaten analysieren will, muss erst wissen, wie so ein Getriebe überhaupt funktioniert. Industrie 4.0 war stets als Verschmelzung des Wissens und der Tätigkeitsfelder von Ingenieuren und Informatikern gedacht.
Am besten funktioniert dies in Regionen, in denen Industrie und Forschung bereits eng vernetzt sind wie im Saarland. Demnächst steht für das Bundesland eine der größten Industrie-Ansiedlungen seiner Geschichte an. Der chinesische Hersteller SVolt plant, bis 2023 nach und nach im saarländischen Überherrn auf dem Linslerfeld und in Heusweiler-Eiweiler eine Produktion von kobaltfreien Batterien für die Autobranche hochzuziehen. Rund 2000 Arbeitsplätze sollen entstehen. Für die Autofabrik der Zukunft ist das Saarland also bereit. Vielleicht sollte Daimler die nächste Factory 56 in Saarbrücken bauen.
Erschienen im Rahmen einer Content-Kooperation mit dem Verlag der F.A.Z.
So gelingt die Zukunft des autonomen Fahrens
So gelingt die Zukunft des autonomen Fahrens
Nach dem Hype stehen die deutschen Hersteller beim autonomen Fahren auf dem Bremspedal. Kunden warten bisher vergeblich auf den Durchbruch zum Auto der Zukunft. Vielleicht haben sie auch nur die Falschen gefragt. Denn der Durchbruch kommt womöglich von den Zulieferern.
Washington, D.C. im Jahre 2054: Die Wagentür öffnet sich via DNA-Scan, vom Wohnzimmer im 100. Stockwerk aus steigt der Fahrer direkt ins Auto ein, das an der Hauswand entlang in die Tiefe gleitet und unten mühelos in den dichten Verkehr auf der Stadtautobahn einfädelt. Infrarot hält andere Fahrzeuge auf Abstand, die Beleuchtung wechselt mit der Stimmung. Die Szene stammt aus Steven Spielbergs „Minority Report“ und soll im Jahr 2054 spielen. Science-Fiction? Einige der Auto-Gadgets des Films von 2002 sind heute Alltag, etwa die Abstandshaltung zu anderen Fahrzeugen durch Sensorik. Hypermoderne Technik umzusetzen, dafür sind heute längst nicht nur kalifornische Nerds, sondern auch Entwickler in etablierten Unternehmen zuständig.
Doch in Deutschland fährt noch kein autonomes Auto die Hauswände hoch. Es traut sich nicht mal richtig in den Straßenverkehr. Ein mit modernsten Sensoren ausgestatteter Mercedes fährt eine Strecke von 1000 Kilometern im dreispurigen öffentlichen Straßenverkehr auf Autobahnen bei Paris. Bis zu 130 km/h schnell, meistert der Wagen Konvoi-Fahrten mit automatischer Abstandshaltung und autonome Überholmanöver. Nur: Das war bereits vor 26 Jahren. Eine verpasste Chance – selbst nach Maßstäben der in langen Entwicklungszyklen denkenden Automobilindustrie. Trotzdem kommt aus dem Land, das das Auto erfunden und perfektioniert hat, bisher noch kein bahnbrechender Entwurf für das autonome Fahren. Die technologischen Hürden liegen hoch. Sie zu überwinden, daran arbeiten Wissenschaftler und Ingenieure intensiv. Die Lösung könnte, man glaubt es kaum, aus dem Saarland kommen. Und das hat seine Gründe.
Zulieferer können freier als die großen Markenhersteller agieren, weil sie bei neuen Fahrzeugen keine besonderen Kundenerwartungen erfüllen müssen.»
Christian MüllerHochqualifizierte Wissenschaftler im Saarland
Autonome Fahrzeuge müssen in Millisekundenbruchteilen die Umgebung in 360 Grad wahrnehmen, ihre Position verifizieren, Gefahrenquellen verfolgen, ihre Fahrmanöver berechnen und durchführen. „Allein auf einer Straßenkreuzung gibt es unzählige Bewegungen einzelner Verkehrsteilnehmer“, sagt Dr. Christian Müller, Leiter des Kompetenzzentrums Autonomes Fahren am Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Saarbrücken, in dem 360 hochqualifizierte Wissenschaftler aus mehr als 20 Nationen an etwa 80 Forschungsprojekten arbeiten.
„Multipliziert mit unzähligen Wetter- und Tageslichtsituationen, ergibt dies Milliarden an Parametern, die ein autonomes System berechnen muss, bevor es reagiert.“ Die Rechenleistung aus Künstlicher Intelligenz (KI) macht es möglich, dass ein Fahrzeug Sensordaten in Echtzeit auswerten kann. Daten aus Kameras, Radar- und Lidar gehören dazu. Statt der Radiowellen wie beim Radar kommen bei Lidar Laserstrahlen zum Einsatz, die Abstände zu anderen Fahrzeugen und die Geschwindigkeit messen.
In der saarländischen Kreisstadt Merzig wurde eine Kreuzung mit Kameras ausgestattet, die rein zu Forschungszwecken Objekte wie Fahrzeuge, Fußgänger oder Fahrradfahrer, erkennt. Mit entsprechender Technik ausgestattete Fahrzeuge werden mit Hilfe einer standardisierten Nachricht von der Kreuzung über Position und Bewegungsrichtung der erkannten Objekte informiert. So kann das Fahrzeug ableiten, ob eine Gefahrensituation vorliegt, und den Fahrer rechtzeitig warnen.
60 000 Euro – Nur für das System
Mal angenommen, dass alles klappt. Wir erreichen die magische Automatisierungstufe vier. Das Auto fährt fast von allein, die Fahrerin oder der Fahrer relaxen. Können sie auch. Bis es ans Bezahlen geht. Denn derzeit kostet ein System aus fünf Lidar- und vier Radarsystemen, Kamera und Zentralcomputer über 60 000 Euro. Golf-Klasse klingt anders. Der Preis könnte einer Prognose der Unternehmensberater von Bain zufolge in den nächsten zehn Jahren um mehr als 85 Prozent sinken. Heute würden in erster Linie noch Prototypen- und Teile aus Kleinstserien verwendet. Eine Kostenreduktion bei der Hardware durch Industrialisierung und Skalierung soll dann für einen Preisverfall sorgen. Das wäre der Durchbruch, auf den die Kunden warten. Vielleicht haben sie bisher einfach nur die Falschen gefragt. Denn den Urknall beim vernetzten Fahren wird womöglich nicht ein großer Autohersteller, sondern ein Zulieferer auslösen. Die Branche ist Christian Müller zufolge dafür gut aufgestellt. „Zulieferer können freier als die großen Markenhersteller agieren, weil sie bei neuen Fahrzeugen keine besonderen Kundenerwartungen erfüllen müssen.“
Saarland setzt auf die Vernetzung der Forschung
Damit Deutschlands Vorzeigeindustrie den Sprung nach vorn macht, muss viel passieren. Automobilhersteller und Zulieferer müssen trotz Corona weiter in Zukunftstechnologien investieren und Partnerschaften mit großen Technologiekonzernen eingehen. Forschung und Industrie müssen eng zusammenrücken und Technologie-Cluster bilden. Dafür gibt es Beispiele, und eines findet sich im Südwesten der Republik. Internationale Exzellenz durch Top-Universitäten, kurze Wege zu politischen Entscheidern und die richtige Auto-DNA, das gibt es in dieser Kombination auf kompakter Fläche nur im Saarland. Hier befindet sich mit 42 500 Beschäftigten die höchste Dichte an Automobilbeschäftigten in Deutschland, wie es das Institut der Deutschen Wirtschaft in einer aktuellen Studie ausgewiesen hat. Im Saarland gleicht man den Größenvorteil der amerikanischen Unternehmen durch Vernetzung der Forschung aus, ohne die Amerikaner außen vor zu lassen. Denn Alphabet und Microsoft sind ebenso wie BMW und VW, Bosch und ZF Group Gesellschafter des DFKI. Das letztgenannte Unternehmen hat mit dem „ZF AI & Cybersecurity Center“ im letzten Jahr in Saarbrücken ein Technologiezentrum für Künstliche Intelligenz und Cybersicherheit gegründet und kooperiert mit dem saarländischen Helmholtz-Zentrum für Informationssicherheit (CISPA).
Die Forschungsgruppe Verkehrstelematik der htw saar forscht in Saarbrücken zu Kommunikationsmöglichkeiten von Fahrzeugen untereinander sowie mit der Verkehrsinfrastruktur. Die Versuchsanwendungen haben das Ziel zu mehr Sicherheit, Umweltfreundlichkeit und Effizienz im Straßenverkehr beizutragen.
Zwei Jungs hacken einen Jeep – und bekommen einen Job
Es geht um ein Zukunftsthema: Datensicherheit im Auto. Im Jahr 2015 hackten zwei junge Amerikaner das System eines Jeep Cherokee. Das brachte ihnen ein bisschen Ärger, aber letztlich einen Job beim Fahrdienst-Vermittler Uber ein. An Systemen, die Kommunikation in einem autonomen Fahrzeug absichern, wird im Saarland intensiv geforscht. „Im Auto sind Hunderte von Komponenten vom Gaspedal über die Scheibenwischer bis zur Bremse miteinander vernetzt“, sagt Christian Rossow, leitender Wissenschaftler am CISPA. „Leider reicht es meistens aus, nur eines dieser Komponenten zu manipulieren, um das ganze Auto kontrollieren zu können. Dieses Problem wollen wir lösen.“ Daran arbeiten die Zulieferer mit. „Das ist nicht nur aus Sicherheitsgründen wichtig, sondern auch um das Vertrauen der Menschen in das autonome Fahren zu fördern“, sagt Torsten Gollewski von der ZF Group, die wie Bosch, Dürr und andere weltweit erfolgreichen Zulieferer im Saarland ansässig ist. Auf dem länderübergreifenden Testfeld Deutschland-Frankreich-Luxemburg etwa lassen sich Zukunftsszenarien der Mobilität über Ländergrenzen hinweg untersuchen – Tesla würde hier eine perfekte Infrastruktur vorfinden, die jedem internationalen Vergleich standhält. Die Hochschule für Technik und Wirtschaft des Saarlandes (HTW Saar) kooperiert mit Bundes- und EU-Forschungsprojekten und mit der Automobilindustrie. Wenn es ums Prüfen und Testen geht, sind deutsche Ingenieure Weltspitze und werden das auch bleiben: Von knapp 3000 Patenten, die zum autonomen Fahren seit 2010 weltweit registriert wurden, stammt rund die Hälfte aus Deutschland.
Spitzentechnologie – aus St. Ingbert und Püttlingen
Eine zum Patent angemeldete Neuheit ist der Prüfstand der Dürr Group, auf dem sich autonome und teilautonome Fahrzeuge testen lassen. Das Unternehmen rechnet zukünftig wegen der stärkeren Verbreitung von Elektrofahrzeugen zwar mit weniger Abgastests. „Aber Funktionstests und die gesetzlich geforderte Bremsprüfung, die bleiben“, sagt Thomas Kolb von Dürr Assembly Products aus dem saarländischen Püttlingen. Eine halbe Autostunde Richtung Westen, in St. Ingbert, lässt iMAR Navigation auf Prüfgeländen Fahrzeuge autonom fahren. „Da sind zehn Fahrzeuge unterwegs, die tun so, als wären sie normaler Verkehr“, sagt Gründer Edgar von Hinüber. „Und in diesem Pulk von Fahrzeugen ist ein Testfahrzeug unterwegs, das bestimmten Aufgaben unterzogen wird. Wenn da etwas schiefgeht, ist das ärgerlich, aber es kommt niemand zu Schaden.“ Das Unternehmen hat eine Test-Software für hochautomatisierte Autos in verschiedenen Verkehrssituationen entwickelt und forscht auch zu People-Mover-Systemen, automatisch verkehrenden Fahrzeugen für meist kurze Strecken. Diese seien derzeit noch sehr langsam. „Die mit siebzig, achtzig Stundenkilometern fahren lassen, das ist eine Herausforderung, die derzeit noch keiner hinkriegt.“ Aber diese Systeme sind, wenn auch in gemessenem Tempo, bereits weltweit im Einsatz. Etwa bis zum Sommer die autonomen Minibusse am Mainkaiufer in Frankfurt am Main oder die People-Mover-Systeme von ZF für die autofreie und CO2-neutrale Stadt Masdar in Abu Dhabi.
Im Auto sind hunderte von Komponenten vom Gaspedal über die Scheibenwischer bis zur Bremse miteinander vernetzt.»
Christian RossowIn Zukunft ohne menschlichen Aufpasser
In Zukunft soll das Software im Auto ohne menschlichen Aufpasser hinbekommen. „Künstliche Intelligenz ändert die Fahrzeugarchitektur zum ersten Mal seit Jahrzehnten grundlegend“, glaubt Manuvir Das von Nvidia. Die Technik des amerikanischen Chipkonzerns soll teilautomatisiertes Fahren und eigenständiges Navigieren auf Parkplätzen ermöglichen. Ein Daimler-Modell mit dem gemeinsam entwickelten System soll Ende 2024 auf die Straße kommen. Für die Automobilindustrie womöglich ein Paradigmenwechsel. Ein Auto wäre nicht mehr als Neuwagen am besten, sondern wird durch Software-Updates wertvoller.
Der Urknall beim autonomen Fahren ist womöglich näher als gedacht. Er könnte durchaus in den nächsten zehn Jahren stattfinden – die Autos müssen dann ja nicht gleich wie in „Minority Report“ an Hochhauswänden hoch- und runterflitzen.
Erschienen im Rahmen einer Content-Kooperation mit dem Verlag der F.A.Z.
Wie die Medizin der Zukunft gelingen kann
Wie die Medizin der Zukunft gelingen kann
Künstliche Intelligenz gilt als Schlüsseltechnologie für die Gesundheitsbranche. Doch darf der technische Fortschritt ethische und rechtliche Fragestellungen nicht links liegen lassen.
„Sprache ist Ausdruck des Geistes“ – sagte der Dichter Novalis gegen Ende des 18. Jahrhunderts und war damit der modernen Medizin auf der Spur. Denn heute wird Sprache nicht nur maschinell erkannt, analysiert und bewertet, um sich von Alexa, Siri und Co. helfen zu lassen, sondern auch für medizinische Zwecke genutzt. Ständig vernetzte mobile Geräte, die auf KI-gestützte Rechen-Power in der Cloud zurückgreifen können, bieten bahnbrechende diagnostische Möglichkeiten. Um den „Ausdruck des Geistes“ von Patienten anhand ihrer Sprache zu diagnostizieren, geht es auch beim noch jungen Unternehmen ki:elements aus Saarbrücken. Das Team um den Data-Scientist Nicklas Linz hat eine KI-basierte Technologie entwickelt, die per Sprachanalyse Krankheiten wie Alzheimer sehr früh erkennen kann.
Viele neurodegenerative Erkrankungen lassen sich am besten bekämpfen, wenn sie früh erkannt werden.»
Nicklas LinzDie Technologie von ki:elements ist für moderne Gesellschaften wie der Deutschen von großer Relevanz. Bei einer Lebenserwartung von mittlerweile über 80 Jahren hierzulande werden immer mehr Menschen von Demenz erkranken, sagt Linz, seit 2017 CEO von ki:elements. Heilbar sei Alzheimer zwar nicht: „Aber man kann es durch Änderungen in der persönlichen Lebensführung verlangsamen. Je früher die Diagnose gestellt wird, desto besser“. Bei der dringend nötigen Früherkennung soll die Technologie von ki:elements helfen. Bisher mussten Ärzte die Diagnose persönlich vornehmen. Das stellte sie und die Patienten vor drei Probleme: „Erstens war die Früherkennung sehr aufwendig und die Krankheiten sind stark stigmatisiert. Zweitens spricht niemand gerne mit seinem Arzt darüber, Gedächtnisprobleme zu haben. Und drittens sind Hausärzte im Allgemeinen nicht dazu ausgebildet, solche Diagnosen zu stellen“, sagt Linz.
Einfach Sprachproben an den Server schicken
Das Saarbrücker Start-up setzt auf eine einfache Methode, die den Charakter einer üblichen ärztlichen Untersuchung vermeidet. Die Patienten geben telefonisch oder direkt in ein Smartphone vor Ort Sprachproben ab. Diese werden dann zum Server geschickt und dort mithilfe KI analysiert. Über sogenannte Biomarker – messbare und charakteristische biologische Merkmale – diagnostiziert die KI anhand der Aufnahmen Krankheiten wie Alzheimer oder Depressionen. „Das funktioniert in einem sehr frühen Stadium“, betont Linz. Erfahrungen mit KI-gestützter Spracherkennung hat der promovierte Informatiker in Saarbrücken gesammelt. Fünf Jahre hat er am dortigen Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) geforscht, aus dem ki:elements als Spin-off hervorgegangen ist. Bereits 2019 wurde es im bundesweiten Innovationswettbewerb „Ausgezeichnete Orte im Land der Ideen“ als einer von zehn Preisträgern prämiert.
Das Sprachprogramm mitentwickelt hat Professor Jan Alexandersson, Leiter des Kompetenzzentrums Ambient Assisted Living des DFKI. Für ihn ist klar: KI wird all jene Bereiche beeinflussen, die Patienten und Angehörige ebenso unterstützt wie das Pflege- und ärztliche Personal: “Es gibt inzwischen eine Reihe von Möglichkeiten, Gehirnleistungsstörungen zu erkennen. Dazu zählt die Analyse der Kommunikation, beispielsweise gesprochene Sprache und Blickverhalten, aber auch Bewegungsabläufe, wie Gangbild und Gesten“, sagt Alexandersson. Die Forschung am DFKI solle Mediziner bei Diagnose und Therapie unterstützen und Patienten bei der Selbstregulation. „Ziel ist es, Tools zu entwickeln, mit deren Hilfe sich jeder um seine eigene Gesundheit kümmern und vielleicht sogar ein Aufenthalt im Krankenhaus vermieden werden kann. Mittelfristig erwarten wir eine KI-basierte automatische Früherkennung weiterer kognitiver und psychiatrischer Erkrankungen”.
Mathematik und Computer für medizinischen Fortschritt
Nicht nur in der Diagnose, sondern auch in Therapie und Grundlagenforschung nutzt die Medizin immer stärker die digitalen Möglichkeiten. Thorsten Lehr , Professor für Klinische Pharmazie an der Universität Saarbrücken erforscht die Wirkung von Medikamenten im Körper – die sogenannte Pharmakokinetik. Im Dezember vergangenen Jahres hat er seine Erfahrungen mit computergestützten mathematischen Modellen und Simulationen dazu genutzt, um einen Covid19-Simulator zu entwickeln. Mit KI-gestützten Simulationen und Analysen des Verhaltens biologischer Zellen und technischer Systeme beschäftigt sich auch Verena Wolf, Informatik-Professorin in Saarbrücken. Gemeinsam mit Jörn Walter, ebenfalls Professor in Saarbrücken und Leiter der Arbeitsgruppe Epigenetik, forscht Wolf an Modellen, die bestimmen sollen, welche Faktoren die Entwicklung von biologischen Zellen beeinflussen. So sollen genetische Veränderungen in der embryonalen Entwicklung und damit verbundenen Erkrankungen besser verstanden werden.
Ziel ist es, Werkzeuge für Diagnose und Selbstregulation zu entwickeln, mit deren Hilfe man den eigenen Gesundheitszustand im Blick behalten kann.»
Jan AlexanderssonDank leistungsfähiger Algorithmen und immer höherer Rechnerkapazitäten leistet KI einen schnell steigenden Beitrag zur medizinischen Diagnose und Therapie. Maschinen haben gelernt, Röntgenaufnahmen zu beurteilen. „Assistenzarzt Dr. KI“ bietet den menschlichen Radiologen immer öfter die berühmte zweite Meinung und gleich die passende Therapie dazu. Die KI ist sehr talentiert, wenn es darum geht, schnell große Datenmengen zu analysieren wie die Krankheitsverläufe vieler Patienten. Wird die KI so demnächst Chefarzt werden? Eher nicht, denn KI ist nicht gleich KI. Vordenker wie der Tesla-Chef Elon Musk oder der schwedische Philosoph Nick Bostrom warnen zwar vor der „starken“ KI. Sie befürchten die Entstehung einer Superintelligenz, einer Singularität, mit mindestens unklaren, wenn nicht bedrohlichen Folgen für die Menschheit. Doch wird diese allmächtige, sogenannten „starke“ KI wirklich kommen? Professor Kristian Kersting von der TU-Darmstadt und Träger des deutschen KI-Preises 2019 winkt ab: Jenseits des Marketings sei die derzeitige Technik und damit die Welt von dieser Singularität noch weit entfernt.
Die „Schwache Ki“ löst konkrete Probleme
So beschränkt sich der Einsatz der Technologie auf die „schwache“ KI, die konkrete Probleme löst. Am Universitätsklinikum des Saarlands wurde beispielsweise kürzlich das Projekt „KIatta“ gestartet, um Hornhäute vor der Transplantation mithilfe von KI zu beurteilen. Für Professor Berthold Seitz, Direktor der Klinik für Augenheilkunde am Universitätsklinikum des Saarlandes, könnte das ein Meilenstein in der Qualitätssicherung von Hornhautspendergewebe sein. KI kommt auch bei der Entwicklung von Medikamenten zum Einsatz, wenn beispielsweise nicht die Ärzte, sondern Patienten durch Computer ersetzt werden. „In silico“ – so nennen Wissenschaftler wie Professor Norbert Graf die Modellierung, Simulation und Visualisierung von biologischen und medizinischen Prozessen am Computer. Der Direktor der Klinik für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie des Universitätsklinikums des Saarlandes war Forschungsleiter des ACGT-Projekts, das schon vor einigen Jahren reale biologische Prozesse in einer virtuellen Umgebung simuliert hat.
Das Team um ki:elements Gründer Nicklas Linz arbeitet in Saarbrücken daran neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer mit Hilfe von Spracherkennung per App frühzeitig zu erkennen. Eine Künstliche Intelligenz gleicht die gewonnen Daten ab und kann Ärzte bei Diagnosen unterstützen.
Solche Fortschritte stellen die Medizin vor die mittlerweile klassischen Herausforderungen der Digitalisierung. Datenschutz und Cybersecurity werden diskutiert, seit Computer das erste Bit über eine Datenleitung geschickt haben. Das gilt besonders für Patientendaten, die bei den Untersuchungen und Behandlungen anfallen werden, auch beim Start-up ki:elements. Je einfacher die App in der Anwendung ist – Smartphone nehmen, hineinsprechen, Sprachdaten abschicken – desto wichtiger ist der Datenschutz. Für den Gründer Nicklas Linz und sein Team ist das ein Thema: „Wichtig ist es, transparent zu sein, also zu sagen, welche Daten gesammelt werden und was mit ihnen passiert. Wenn wir klarstellen, dass Daten und Diagnose nicht an die Versicherung weitergegeben werden, nimmt das den Anwendern die Angst. Was man gemeinhin unter der ärztlichen Schweigepflicht versteht, das muss auch hier gelten.“
Entscheidend sind Sicherheit und Vertrauen
Zwar stehen persönliche Daten unter dem Schutz der europäischen Datenschutz-Grundverordnung, DSGVO. Doch zeigt die umstrittene Einführung der elektronischen Patientenakte ePA Anfang 2021, wie schwierig die digitale Transformation des Gesundheitswesens ist. Sie braucht die Sicherheit der Daten und das Vertrauen der Akteure des Gesundheitssystems, allen voran das der Patienten. Das Saarbrücker CISPA Helmholtz-Zentrum für Informationssicherheit arbeitet am Schutz medizinischer Daten. Das Team um CISPA-Chef Professor Michael Backes stellt fest, dass selbst Forschungen an DNA-Fragmenten zu Datenschutzproblemen führen können. Solche Daten seien ebenso schützenswert wie die Gesundheitsdaten von persönlichen Geräten wie beispielsweise Smartphones oder Fitnesstracker. Deshalb entwickelt CISPA Grundlagen und Algorithmen weiter, um diese Daten einerseits weiter für die Forschung zu erhalten, andererseits aber auch die Privatsphäre zu schützen.
Dass der Einsatz von KI für Wirtschaft und Gesellschaft von großem Nutzen sein wird, steht außer Frage. Viele wichtige Branchen profitieren bereits davon und Gesundheit und Pharma liegen dabei an der Spitze. Die vielen spannenden Projekte zu Diagnostik, Therapie, Grundlagenforschung und Medikamentenentwicklung im Saarland belegen das. Dass parallel an ethischen, juristischen und psychologischen Fragen gearbeitet werden muss, ist auch klar. Die KI muss auch in Zukunft immer für den Menschen da sein und nicht andersherum, das haben bereits 2018 rund 600 führende KI-Experten von Entscheidern in Europa und seinen Mitgliedsstaaten gefordert.
Erschienen im Rahmen einer Content-Kooperation mit dem Verlag der F.A.Z.
Materialforschung: Saarländische Experimente im Weltall
Materialforschung: Saarländische Experimente im Weltall
Wie Tricks der Natur zu Technik werden
Wenn ein Offshore-Windpark Sturm und Wellen trotzt, wenn „Geckofüße“ Weltraumschrott einfangen oder ein Gleitlager besonders lange durchhält, steckt dahinter Materialforschung aus dem Saarland. Die Zusammenarbeit verschiedener wissenschaftlicher Disziplinen und die kurzen Wege zu Industrie und Politik sind dabei ein großes Plus.
Phänomene der Natur auf die Technik zu übertragen faszinierte bereits Leonardo da Vinci. Der Universalgelehrte tüftelte schon 1505 daran, den Vogelflug durch Flugmaschinen nachzuahmen. Seitdem die Flügelfrucht des Ahorns bei der Entwicklung des Propellers Pate stand, sind viele Technikideen auf Naturbeobachtungen zurückzuführen, wie etwa Winglets an den Flügelspitzen, mit denen Vögel Kraft sparen – und Flugzeuge Treibstoff.
„Die biologische Evolution hat durch Zufall und Irrtum viele interessante Prinzipien gefunden, die naturgemäß ressourcenschonend sind und nicht auf potentiell toxischen Chemikalien beruhen“, sagt Eduard Arzt, Wissenschaftlicher Direktor und Leiter der Forschungsgruppe Funktionelle Mikrostrukturen am INM – Leibniz-Institut für Neue Materialien in Saarbrücken. Das INM ist mit 260 Mitarbeitern ein internationales Zentrum für Materialforschung und kooperiert mit Instituten und Unternehmen in aller Welt. So untersuchten Forscher vom INM gemeinsam mit der Universität of California in San Diego anhand von Knochen und Federn die Verbesserung des Auftriebs bei fliegenden Vögeln. Am INM wird zudem an Augen der Motten geforscht, die mit ihrer Nanostruktur kein Licht reflektieren, was die Nachtsichtfähigkeit erhöht. Die Forschung in Saarbrücken trug zur Entwicklung neuer optischer Anti-Reflex-Oberflächen bei. Oberflächen sind ein entscheidender Punkt der Bionik, angefangen vom Klettverschluss, den Georges de Mestral 1956 nach dem Vorbild der Klettfrüchte entwickelte, bis hin zu den Riblet-Folien, deren Vorbild die scharfkantigen feinen Rillen in der Haut von Haien sind. Ab 2022 sollen Lufthansa-Transportflugzeuge mit einer solchen Folie ausgerüstet werden, die den Reibungswiderstand senkt.
Den Weg von der Forschung in die Industrie schaffen Ideen aus der Natur besonders schnell im Saarland, denn hier sind die Wege zwischen Wissenschaft, Industrie und politischen Entscheidern so kurz wie sonst kaum wo in Deutschland. Beim EU-geförderten Projekt STICK2SEE etwa geht es darum, die Eigenschaften von Geckofüßen für industrielle Anwendungen zu nutzen. Mit Abermillionen von mikroskopisch kleinen Härchen haften die Reptilien wie von Zauberhand an verschiedenen Oberflächen. „Wir haben sehende Greifersysteme in der Entwicklung, die mitdenken und damit die Zuverlässigkeit entscheidend verbessern“, sagt Arzt. „Vor allem für Mikroobjekte, die kleiner als ein Staubkorn sein können, werden neue Greif- und Platziersysteme dringend gebraucht.“ Anwendungen im Bereich Displayfertigung, Medizintechnik und Weltraum seien bereits erkennbar. Auch kommerziell wird das Gecko-Prinzip bereits im Saarland vermarktet: Die INM-Ausgründung INNOCISE GmbH in Saarbrücken entwickelt damit nachhaltige und präzise Greiflösungen. „Im Gegensatz zu Sauggreifern fällt bei der Gecko-Technologie kein Energiebedarf an, und sie funktioniert auch bestens unter Vakuumbedingungen“, erklärt Marc Schöneich, CEO von INNOCISE. Würde ein Großteil der Greifsysteme weltweit durch dieses System aus dem Saarland ersetzt, könnten – so zeigen Modellrechnungen – Millionen von Tonnen CO₂ jährlich eingespart werden.
Die Ausbreitung von Keimen über Kontaktflächen ist nur bei einer unkritischen Lebens- und Wachstumsfähigkeit der Mikroorganismen auf den Kontaktoberflächen möglich.«
Dominik BritzWeltraumschrott einfangen — mit einer Idee aus dem Saarland
Gecko-Technologie kann dabei helfen, Weltraumschrott zu entfernen. Einen am INM mitentwickelten Mechanismus zum „Einfangen“ von Weltraumschrott testete die Crew der Internationalen Raumstation (ISS) unter Weltraumbedingungen bereits erfolgreich. Von der NASA entwickelte Astrobees, kleine fliegende Roboter, statteten Techniker mit Saarbrücker Gecko-Haftstrukturen aus. Diesen gelang es, Weltraumschrott zu greifen – konventionelle Sauggreifsysteme würden im Vakuum des Weltalls nicht funktionieren. Im Herbst 2021 soll mit Matthias Maurer ein Materialwissenschaftler aus dem Saarland seinen ersten Raumflug zur ISS absolvieren. Maurer wird dort an Technologien forschen, die der Ausbreitung von Keimen entgegenwirken. Kupfer etwa wirkt auf Bakterien, Viren und Pilze abtötend. Forscher haben dafür komplexe Erklärungsansätze: Kupferoberflächen können die Zellwand der Bakterien destabilisieren, und Kupferatome können sich anschließend an die DNA der Keime binden und deren Zellteilung stoppen. Die Saarbrücker Materialwissenschaftler möchten durch den Einsatz im All herausfinden, wie sich auf Oberflächen aus Kupferwerkstoffen und Edelstahl in der Schwerelosigkeit Keime ansiedeln und wie eine nanometergenaue Laserstrukturierung in Kombination mit antimikrobiellen Eigenschaften verhindern kann, dass sich Bakterienstämme ausbreiten.
„Der Laser verändert Oberflächen berührungslos und auch ohne Chemie“, sagt Frank Mücklich, Materialforscher an der Universität des Saarlandes und Direktor des Material Engineering Center Saarland. „Mit einem einzigen Schuss gezielt überlagerter Laserpulse bildet er ein mikroskopisch perfektes, periodisches Relief und verändert die Oberfläche maßgeschneidert für die jeweilige Funktion, beispielsweise um ein Hundertstel eines Haares. Genug, um Bakterien die Haftung zu erschweren und das Wachstum von kritischen Biofilmen zu minimieren oder gar zu verhindern.“
Die Forschung im All unterstützt die Experimente der Forscher in Saarbrücken, die aktuelle Brisanz besitzt. Denn die Gefahr durch gefährliche Erreger auf Kontaktflächen, die die Menschen berühren, hat sich durch COVID-19 verstärkt. Patienten auf den Stationen müssen vor weiteren Infektionen geschützt werden. Rund 500.000 Menschen erleiden laut Robert Koch-Institut jährlich eine Infektion im Krankenhaus. „Die Ausbreitung von Keimen über Kontaktflächen ist nur bei einer unkritischen Lebens- und Wachstumsfähigkeit der Mikroorganismen auf den Kontaktoberflächen möglich“, sagt Dominik Britz, CEO eines Start-ups aus dem Material Engineering Center Saarland, des auf modernste Oberflächenfunktionalisierung durch Lasertechnik spezialisierten Unternehmens SurFunction in Saarbrücken. Derartig mikrostrukturierte Oberflächen können Bakterien, aber auch Pilze und wahrscheinlich sogar Viren auf Oberflächen abwehren oder gar abtöten.
Wie künstliche Intelligenz der Materialforschung hilft
Metallische Werkstoffe weiterzuentwickeln ist die Leidenschaft von Frank Mücklich. Mit seiner Arbeitsgruppe in Saarbrücken untersucht er den Zusammenhang zwischen dem mikroskopischen Innenleben der Werkstoffe und den damit steuerbaren Eigenschaften. Er begnügt sich nicht damit, Erkenntnisse nur wissenschaftlich zu publizieren. „Mir geht es darum, dass die Fähigkeiten der Werkstoffe ihren Weg in den Alltag finden“, sagt Mücklich. Um einen schnellen Transfer für Kooperationen mit der Industrie zu schaffen, wurde 2009 das Steinbeis Forschungszentrum Material Engineering Center Saarland (MECS) gegründet. Nicht zuletzt wegen der Orientierung auf industrielle Anwendungen genießt die Materialforschung im Saarland internationales Renommee.
Da das Saarland ein Autoland ist, sind die Bande zur Autoindustrie und Zulieferern wie etwa Bosch und Schaeffler besonders eng. Mücklich nennt ein Beispiel. „Stellen Sie sich vor, Sie haben ein Gleitlager. Gemeinhin würde man denken, wenn die Flächen möglichst glatt sind, wird das Gleitlager wohl am längsten funktionieren. Aber das Gegenteil ist der Fall.“ Mücklich konnte nachweisen, dass bei einer maßgeschneiderten, mikroskopisch feinen Strukturierung der Oberfläche das Gleitlager wesentlich stabiler ist und weniger schnell verschleißt. Zu sagen, die Forscher an der Universität des Saarlandes würden Millimeterarbeit machen, wäre eine Untertreibung. „Wir arbeiten in Dimensionen von wenigen Mikrometern, von Nanometern“, sagt Mücklich. „Und wir arbeiten auch in der atomaren Skala und haben dafür eine Untersuchungstechnik, die es in Deutschland nicht so häufig gibt.“
„Mir geht es darum, dass die Fähigkeiten der Werkstoffe ihren Weg in den Alltag finden“
Frank MücklichZudem bewährt sich die räumliche Nähe zum Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) auf demselben Campus in Saarbrücken. „Wir sind froh, dass DFKI als Nachbarn zu haben“, sagt Mücklich. „Wir arbeiten intensiv zusammen, um die großartigen Möglichkeiten der KI auch für die zukünftige Materialforschung zu erkunden.“
Der in Dresden geborene Forscher leitet an der Saar-Uni den Lehrstuhl für Funktionswerkstoffe, die er anhand eines einfachen Beispiels erklärt: „Wenn Sie mit dem Finger über die Bildschirmoberfläche Ihres Mobiltelefons streichen, wieso weiß das Glas dann, wo der Finger war? Dahinter stecken Funktionswerkstoffe. Wir hier in Saarbrücken sind spezialisiert auf neue metallische Werkstoffe.“ Das Feld für industrielle Anwendungen ist schier endlos, sie reichen von der Medizintechnik bis zu Steckverbindern. Es geht um antibakterielle Eigenschaften, die Verschleißminderung geschmierter Oberflächen oder die Verbesserung der Effizienz von Solarzellen. Besonders Zukunftstechnologien profitieren. Elektrische Steckverbinder, die all die vielen Sensoren und Kameras zuverlässig verbinden und bei Fahrassistenz-Systemen oder dem autonomen Fahren immer wichtiger werden, sind dank der Materialforschung weniger anfällig für Wackelkontakte. Die vielfältigen Möglichkeiten der Laser-Technik haben in Saarbrücken zu Ausgründungen wie SurFunction geführt, die sich mit „direkter Laserinterferenzstrukturierung“ (DLIP) beschäftigen. „Wir wollen mit dieser Technik neue funktionale Oberflächen ohne Chemie und daher umweltschonend erzeugen“, sagt SurFunction-Chef Britz, der sich wie die Forscher am INM an Oberflächenstrukturen in der belebten Natur orientiert. „In der belebten Natur sind praktisch alle Oberflächen strukturiert. Bei Pflanzen und Tieren sorgt die mikroskopisch feine Strukturierung der Oberfläche für optimale Anpassung und zum Beispiel auch für Schutz.“ Die vielfältigen Prinzipien wirken über mikroskopisch feine geometrische Strukturen. Diese können schnell und effizient durch DLIP auf technische Oberflächen übertragen werden, die etwa auch für die Medizintechnik interessant sind.
Die Anwendung der Materialforschung reicht von der Medizintechnik bis hin zu Steckverbindern und das oft nanometergenau. In Saarbrücken arbeiten verschiedene wissenschaftliche Disziplinen eng zusammen um an alltagtauglichen Lösungen zu forschen.
Grüner Stahl aus dem Saarland
Die Zusammenarbeit verschiedener Disziplinen der Wissenschaft ist ein großes Plus im Saarland. So gehen zahlreiche wissenschaftliche Arbeiten und internationale Veröffentlichungen in der Materialwirtschaft und Werkstofftechnik auf das Konto der Zusammenarbeit der Forschungsabteilung des Stahlunternehmens Dillinger mit der Saar-Uni und dem MECS. In den gemeinsamen Forschungsprojekten kommen 3-D-Analysetechniken auf der Mikrometer-, Nanometer- und auch atomaren Skala zum Einsatz, um die inneren Strukturen des Stahls genauer zu verstehen. Wer die gewünschten Eigenschaften des Materials besser vorhersagen kann, erspart sich langwierige Experimente und teure Betriebsversuche. In der Debatte um nachhaltigere Herstellungsmethoden hat in diesem Sinne auch der „grüne Stahl“ für die Industrie an Bedeutung gewonnen.
„Die Stahlindustrie hat schon heute die technologischen Konzepte zur Erreichung des Ziels einer CO₂-neutralen Stahlerzeugung auf Basis von Strom und Wasserstoff“, sagt Karl-Ulrich Köhler, Vorsitzender des Vorstands von Dillinger, der auch für den Bereich Technik verantwortlich ist. Eine erste Anlage zur Nutzung von wasserstoffreichem Koksgas zur Verringerung der CO₂-Emissionen läuft in Dillingen bereits im Regelbetrieb. „Die Dekarbonisierung der Stahlerzeugung hat ein erhebliches Potential, die industrielle CO₂-Emission zu reduzieren“, sagt Köhler. „Da Stahl zu 100 Prozent recyclingfähig ist, kann eine nachhaltige Energie- und Mobilitätswende, etwa durch die Errichtung von Windparks, nicht ohne den Werkstoff gemeistert werden.“ Dennoch könne ein Markt für „grünen Stahl“ erst entstehen, wenn der Begriff durch die Politik eindeutig definiert wird. „Damit der Ausstoß von CO₂ nicht in andere Regionen oder zu den Energieerzeugern verlagert wird, müssen infrastrukturelle Voraussetzungen für die Versorgung der Industrie mit grünem Strom und grünem Wasserstoff geschaffen werden“, sagt Köhler. „Dazu kommt ein weiteres Hindernis: Obwohl Kunden bereits grünen Stahl fordern, sind sie nicht bereit, den Aufpreis dafür zu zahlen.“
Der Löwenanteil der Offshore-Windparks in Europa und weltweit steht laut Köhler auf Stahl von Dillinger. Um die Stahlrohre für Offshore-Windparks anzufertigen, werden Grobbleche benötigt, wie sie Dillinger im Saarland herstellt. Die Stahlrohre („Monopiles“) haben ein Gewicht von bis zu 2400 Tonnen und müssen viele Jahre durchhalten. Die Oberflächen des Stahls müssen also besonders widerstandsfähig sein, wenn sie Phänomenen der Natur wie Stürmen, Wellen und aggressivem Salzwasser auf hoher See trotzen wollen. Auch dafür ist moderne Stahlforschung, beispielsweise am MECS und an der Universität des Saarlandes, so wichtig.
Erschienen im Rahmen einer Content-Kooperation mit dem Verlag der F.A.Z.
„Cyber Security“: Havard? Stanford? Saarbrücken!
„Cyber Security“: Havard? Stanford? Saarbrücken!
So gelingt Datensicherheit
Früher würden Autos aufgebrochen, heute werden sie gehackt. Ganz klar: ohne Cybersecurity kommt im allvernetzten „Internet der Dinge“ kein Fahrzeug und keine Fabrik mehr aus. Mit seiner Bündelung von Wissenschaft und Technologie auf kleinster Fläche setzt das Saarland auf technologische Exzellenz in dieser Zukunftsbranche.
Auf dem Computerbildschirm ploppt eine Weltkarte auf. Kleine Kreise leuchten darin. Was wir sehen, sind Hackerangriffe auf Server, Internetseiten und soziale Netzwerke. An den Flaggen erkennt der Betrachter, welche Länder wie stark betroffen sind. Alles geschieht in Echtzeit, am Helmholtz-Zentrum für Informationssicherheit (Cispa) in Saarbrücken.
„Jeder Kreis ist ein Angriff“, sagt Christian Rossow, Professor für IT-Sicherheit am Cispa. „Die Hacker entfalten oft mit geringem Einsatz eine maximale Wucht.“ Rossow spürt ihnen mit sogenannten Honigfallen nach. „Wir haben Systeme aufgestellt, die verwundbar sind und für den Angreifer so aussehen, als ob er sie verwenden kann.“ Tappt ein Hacker in die Falle, können die Forscher aus dem Saarland seinen Angriff bis zur Quelle zurückverfolgen. Hacker attackieren weltweit E-Mail-Server, die IT-Struktur von Unternehmen, Kraftwerken und sogar von Krankenhäusern. Sie kapern fremde Rechner und nutzen die zusammengeschlossenen Computer wie eine ferngesteuerte Angriffsarmee. Die dann die Server der Zielobjekte mit Massenanfragen bis zur Überlastung attackieren. Unternehmen müssen in so einem Fall blitzschnell reagieren, um ihre Infrastruktur zu schützen. „Unsere Honeypots wirken wie ein Frühwarnsystem“, sagt Rossow. „Sie sind 40 Sekunden schneller als vergleichbare Abwehrsysteme.“
Das klingt nicht nach viel Zeit, sind bei Cybercrimes aber Welten. Bei Gegenmaßnahmen zählt jede Sekunde. Etwa, um eine Videokonferenz zu schützen, die kriminelle Hacker in Zeiten der Pandemie bevorzugt ins Visier nehmen. Denn einmal eingeschleust, können Hacker ganze Produktionsanlagen lahmlegen. Auch wenn es so schlimm nicht kommt, drohen Unternehmen Imageverluste und finanzielle Einbußen. „Manche Betroffene zahlen Angreifern sogar Lösegeld, damit zum Beispiel ihr Onlineshop wieder ans Netz gehen kann“, sagt Michael Brengel, Doktorand am Cispa. Erpressung, Sabotage und Industriespionage gelten als Hauptmotivationen bei Angriffen auf Unternehmen und deren Infrastruktur. Privathaushalte sind ebenso betroffen, und so beschäftigen sich Informatiker der Universität des Saarlandes auch mit den Gefahren im Smart Home: „Watchdog“ ist ein Mini-Rechner, der, an den Router angeschlossen, alle Geräte eines Heimnetzwerkes kontrolliert, bei Auffälligkeiten warnt und Angriffe, wenn möglich, automatisch abwehrt.
„Die Hacker entfalten oft mit geringem Einsatz eine maximale Wucht.“
CHRISTIAN ROSSOW
Milliardenverluste für die Automobilbranche
Datensicherheit ist ein Thema, dass Wissenschaftlern wie Unternehmern gleichermaßen auf den Nägeln brennt. Die 5G-Technologie und das Internet der Dinge sorgen für die Vernetzung sämtlicher Bereiche in Fabriken und Privathaushalten. Maschinen, W-Lan-Router, Waschmaschinen und Rauchmelder sind mittlerweile mit dem Internet verbunden. „Viele dieser Geräte sind heute preisgünstig“, sagt Rossow. „Sie haben aber auch oft Schwachstellen und sind angreifbar.“ Seine Forschungsgruppe hat einen Honeypot gebaut, der die gleichen Schwachstellen aufweist wie derlei Geräte. Im „Internet der Dinge“ werden die Angriffsflächen größer. Und damit die Herausforderungen für alle, die für Sicherheit Sorge tragen. Im Jahr 2020 betrugen dem Bitkom zufolge die weltweiten Ausgaben für Cybersicherheit 54,7 Milliarden US-Dollar. Im Jahr 2021 sollen sie bereits geschätzte 60 Milliarden US-Dollar betragen. Massive Investitionen in Datensicherheit sind eine Reaktion auf Umsatzverluste, die den Unternehmen weltweit aufgrund von Cyberangriffen entgehen. Eine Statista-Umfrage schätzt die Umsatzverluste allein für die Automobilbranche für die Jahre 2019 bis 2023 auf 505 Milliarden US-Dollar.
Eine KPMG-Studie aus 2020 ergab, dass erst ein Viertel der weltweit befragten 16.000 Unternehmen ihre industriellen Kontrollsysteme aktiv verteidigen. 58 Prozent der Unternehmen verwiesen darauf, dass ihnen die Sicherheitskompetenz im Haus fehlt.
Zunehmend erregen Patente oder Informationen aus Forschung und Entwicklung das Interesse der Hacker. Zum Teil merken Behörden und Unternehmen nicht einmal, das sie attackiert wurden. Die Dunkelziffer ist erheblich, und aus Angst vor Imageschäden hängen Unternehmen einen Schadensfall nicht gern an die große Glocke. Für einige Unternehmen haben IT-Attacken gar existenzgefährdende Dimensionen. „Die landläufige Vorstellung ist, dass da irgendwo auf der Welt ein junger Typ im Keller sitzt, die Schadsoftware baut und dann in die Welt rausschickt“, sagt Brengel. „In Wahrheit ist das ein professionelles Business.“ Dass oft aus Ländern betrieben wird, die als politisch instabil gelten. „Leider sind Maßnahmen dagegen oft nur Reaktionen auf vorherige Angriffe“, sagt Rossow. „Und davon wollen wir als Cispa weg. Wir wollen Technologien entwickeln, die auch vor zukünftigen Angriffen schützen.“ So forscht das Cispa an Sicherheitseinrichtungen, die sich selbständig auf Schadsoftware stürzen und sie dann aus IT-Systemen fernhalten.
„Die landläufige Vorstellung ist, dass da irgendwo auf der Welt ein junger Typ im Keller sitzt, die Schadsoftware baut und dann in die Welt rausschickt.“
MICHAEL BRENGEL
Einziger Stanford-Partner in der Cyber Security
Rossow ist als einer der Gründungsmitglieder von der Universität des Saarlandes ans Cispa gewechselt und leitet heute als Forschungsleiter ein Team aus Doktoranden und Postdoktoranden mit dem Schwerpunkt Systemsicherheit. Zentrale Themenbereiche am Cispa sind zudem Cybersicherheit und Künstliche Intelligenz, die im Zusammenspiel für das autonome Fahren entscheidend sind. Es geht an der Saar auch um die vertrauenswürdige Verarbeitung von medizinischen Daten und die Entwicklung einfach zu nutzender Sicherheitslösungen. Die Forschung am Cispa findet weltweit Beachtung. Im aktuellen CS Ranking, dem wichtigsten Exzellenzranking in der Informatik, steht das Cispa vor namhaften US-amerikanischen Universitäten seit Monaten weltweit auf Platz eins, wie Cispa-Direktor Michael Backes betont: „In der Vergangenheit hatten wir in Deutschland häufig im Rennen um Spitzenkräfte das Nachsehen. Deswegen haben wir 2016 das Cispa-Stanford-Programm ins Leben gerufen und sind stolz darauf, der einzige Partner der Elite-Universität auf diesem Gebiet zu sein.“
Die Universität Stanford gilt als Keimzelle der Hightech-Industrie im Silicon Valley. Hier studierten die Google-Gründer Larry Page und Sergey Brin, Paypal-Gründer Peter Thiel sowie zahlreiche Nobelpreisträger. Hervorragende Nachwuchswissenschaftler können nach zwei Jahren am Cispa weitere zwei Jahre an der Stanford-Universität dranhängen, um mit einem Gastprofessorenstatus in der Cybersicherheit zu arbeiten. Sie kehren dann als leitende Wissenschaftler ans Cispa zurück, bewerben sich auf Professuren an deutschen Universitäten oder als Forschungsleiter in der Industrie. „Wir ziehen also viele brillante Köpfe nach Deutschland und schaffen es oft, sie zu halten“, sagt Backes.
Datensicherheit ist ein Autothema
Dazu trägt der „Saarland Informatik Campus“ bei, der Saarbrücken zu einem Zentrum der Informatik- und KI-Forschung gemacht hat. Cispa und das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) liegen nur ein paar Schritte voneinander entfernt. „Wir greifen neue Ideen schnell auf und arbeiten dann mit allen Partnern daran intensiv zusammen“, sagt Philipp Slusallek, Standortleiter des DFKI. So bündelt mit der ZF Friedrichshafen AG der weltweit fünftgrößte Automobilzulieferer am „ZF AI & Cybersecurity Center“ seine KI-Forschung in Saarbrücken. Auch der Datenspezialist Daimler Protics hat sich auf dem Campus der Universität des Saarlandes angesiedelt. Denn Datensicherheit ist ein Autothema par excellence. „In einem Fahrzeug ist alles vernetzt“, sagt Rossow. „Es reicht leider meist aus, eine Komponente zu kompromittieren, um das ganze Auto anleiten zu können.“ Nur wer die Sicherheitsansprüche der Technik tief erforscht, kann Fahrzeugsysteme vor Angriffen und Manipulation schützen.
Eine UN-Arbeitsgruppe hat mittlerweile den rechtlichen Rahmen für die Regulierung von Cybersecurity in der Automobilindustrie festgezurrt. Bis 2024 müssen Autohersteller die Verordnungen umsetzen. Datensicherheit im Auto ist ab Juli 2024 dann keine Option mehr, sondern vorgeschrieben. Es geht bei der Cybersecurity darum, den Angreifern stets eine Nasenlänge voraus zu sein. Das gilt vor allem bei einer Technologie, die ebenso faszinierend wie beängstigend ist: Quantencomputer. Diese sind weitaus leistungsfähiger als klassische Computer und werden in Zukunft auch anspruchsvolle Verschlüsselungen problemlos knacken können – ein Problem für die digitale Sicherheit von Fahrzeugen. Ein normaler Computer speichert Informationen als Bits, die nur zwei mögliche Zustände annehmen können. eins oder null. Ein Qubit eines Quantencomputers kann auch alle Zustände dazwischen einnehmen. Dadurch steigt die Menge an Informationen, die ein Quantencomputer verarbeiten kann, exponentiell an.
Am CISPA in Saarbrücken forscht das Team um Christian Rossow zu Cyberabwehrsystemen um Attacken abzuwehren, bevor diese überhaupt stattfinden. Die Architektur des CISPAs verkörpert den transparenten Ansatz der Forschungseinrichtung, wobei die Statue eines Spartaners am Eingang des Gebäudes symbolisch „Tojaner“ abwehren soll.
Neue Forschungsansätze in der Quantentechnolgie
Die Quantentechnologie hat bereits ihren Weg von den Forschungsinstituten in die Wirtschaft gefunden. So setzt sie der Maschinenbauer Trumpf bei der Berechnung des robotisierten Zuschnitts von Blechteilen ein. Analysten von IDC prognostizieren, dass 25 Prozent der Fortune-Global-500-Unternehmen ab 2023 einen Wettbewerbsvorteil durch Quantencomputer erwirtschaften werden. „Die Quantentechnolgie ist extrem spannend und ermöglicht Dinge, die mit herkömmlicher Computer-Technologie nicht machbar ist“, sagt DFKI-Standortleiter Slusallek. „Das gilt gerade auch für den Bereich der KI. Hier loten wir zusammen mit einigen der besten Quantenforschern in Europa aus, wo sich die größten Chancen bieten.“ Ein neuerer Forschungstrend, zu welchem eine Gruppe am Cispa forscht, ist Quantum Money. „Quanteninformationen verhalten sich im Unterschied zu klassischen digitalen Informationen eher wie physikalische Objekte, die man nicht ohne weiteres kopieren kann“, beschreibt Nico Döttling, leitender Wissenschaftler am Cispa, die Grundidee. Banknoten könnten so als nichtkopierbare Quanteninformation kodiert werden. Ein spannender Forschungsansatz aus dem Saarland, auch wenn derzeit noch keine Technologie existiert, Quanteninformation verlässlich über längere Zeit zu speichern.
Das Unternehmerische bei der Forschung mitdenken
Ziemlich sicher wird die Quantentechnologie neben anderen Technologien eine Rolle beim neuen Cispa-Innovation-Campus spielen. Auf dem Gelände der „Alten Schmelz“ in St. Ingbert sollen sich Ausgründungen aus Cispa und DFKI im Bereich der Cybersicherheit und KI ansiedeln. „Hier werden viele unserer Start-ups aus der Forschung eine Heimat finden“, sagt Backes. An Cispa und der Universität des Saarlandes wird das Unternehmerische bei der Forschung mitgedacht. Der Studiengang Entrepreneurial Cybersecurity zielt neben dem Studienabschluss auf die Firmengründung. Zudem hilft ein High-Tech Gründerfonds jungen Unternehmen mit Risikokapital dabei, vielversprechende Forschungsergebnisse unternehmerisch umzusetzen. Cybersecurity-Start-ups finden im Saarland gute Bedingungen vor. Ein Beispiel ist das junge Unternehmen AIS GmbH, dessen Systeme Computeroberflächen auf Schwachstellen kontrolliert und Hacker-Angriffe simuliert, um Unternehmen mit größeren Netzwerken zu schützen. Die Alte Schmelz, derzeit noch eine Industriebrache, soll später auf einer Fläche von zehn Fußballfeldern Platz für Ausgründungen bieten. Eine nicht besonders schwierige Berechnung haben die saarländischen Informatiker dazu bereits angestellt. Die Alte Schmelz ist vom Cispa aus in fünf Minuten erreichbar – mit dem E-Bike.
Erschienen im Rahmen einer Content-Kooperation mit dem Verlag der F.A.Z.