Wie die Medizin der Zukunft gelingen kann
Künstliche Intelligenz gilt als Schlüsseltechnologie für die Gesundheitsbranche. Doch darf der technische Fortschritt ethische und rechtliche Fragestellungen nicht links liegen lassen.
„Sprache ist Ausdruck des Geistes“ – sagte der Dichter Novalis gegen Ende des 18. Jahrhunderts und war damit der modernen Medizin auf der Spur. Denn heute wird Sprache nicht nur maschinell erkannt, analysiert und bewertet, um sich von Alexa, Siri und Co. helfen zu lassen, sondern auch für medizinische Zwecke genutzt. Ständig vernetzte mobile Geräte, die auf KI-gestützte Rechen-Power in der Cloud zurückgreifen können, bieten bahnbrechende diagnostische Möglichkeiten. Um den „Ausdruck des Geistes“ von Patienten anhand ihrer Sprache zu diagnostizieren, geht es auch beim noch jungen Unternehmen ki:elements aus Saarbrücken. Das Team um den Data-Scientist Nicklas Linz hat eine KI-basierte Technologie entwickelt, die per Sprachanalyse Krankheiten wie Alzheimer sehr früh erkennen kann.
Viele neurodegenerative Erkrankungen lassen sich am besten bekämpfen, wenn sie früh erkannt werden.»
Nicklas LinzDie Technologie von ki:elements ist für moderne Gesellschaften wie der Deutschen von großer Relevanz. Bei einer Lebenserwartung von mittlerweile über 80 Jahren hierzulande werden immer mehr Menschen von Demenz erkranken, sagt Linz, seit 2017 CEO von ki:elements. Heilbar sei Alzheimer zwar nicht: „Aber man kann es durch Änderungen in der persönlichen Lebensführung verlangsamen. Je früher die Diagnose gestellt wird, desto besser“. Bei der dringend nötigen Früherkennung soll die Technologie von ki:elements helfen. Bisher mussten Ärzte die Diagnose persönlich vornehmen. Das stellte sie und die Patienten vor drei Probleme: „Erstens war die Früherkennung sehr aufwendig und die Krankheiten sind stark stigmatisiert. Zweitens spricht niemand gerne mit seinem Arzt darüber, Gedächtnisprobleme zu haben. Und drittens sind Hausärzte im Allgemeinen nicht dazu ausgebildet, solche Diagnosen zu stellen“, sagt Linz.
Einfach Sprachproben an den Server schicken
Das Saarbrücker Start-up setzt auf eine einfache Methode, die den Charakter einer üblichen ärztlichen Untersuchung vermeidet. Die Patienten geben telefonisch oder direkt in ein Smartphone vor Ort Sprachproben ab. Diese werden dann zum Server geschickt und dort mithilfe KI analysiert. Über sogenannte Biomarker – messbare und charakteristische biologische Merkmale – diagnostiziert die KI anhand der Aufnahmen Krankheiten wie Alzheimer oder Depressionen. „Das funktioniert in einem sehr frühen Stadium“, betont Linz. Erfahrungen mit KI-gestützter Spracherkennung hat der promovierte Informatiker in Saarbrücken gesammelt. Fünf Jahre hat er am dortigen Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) geforscht, aus dem ki:elements als Spin-off hervorgegangen ist. Bereits 2019 wurde es im bundesweiten Innovationswettbewerb „Ausgezeichnete Orte im Land der Ideen“ als einer von zehn Preisträgern prämiert.
Das Sprachprogramm mitentwickelt hat Professor Jan Alexandersson, Leiter des Kompetenzzentrums Ambient Assisted Living des DFKI. Für ihn ist klar: KI wird all jene Bereiche beeinflussen, die Patienten und Angehörige ebenso unterstützt wie das Pflege- und ärztliche Personal: “Es gibt inzwischen eine Reihe von Möglichkeiten, Gehirnleistungsstörungen zu erkennen. Dazu zählt die Analyse der Kommunikation, beispielsweise gesprochene Sprache und Blickverhalten, aber auch Bewegungsabläufe, wie Gangbild und Gesten“, sagt Alexandersson. Die Forschung am DFKI solle Mediziner bei Diagnose und Therapie unterstützen und Patienten bei der Selbstregulation. „Ziel ist es, Tools zu entwickeln, mit deren Hilfe sich jeder um seine eigene Gesundheit kümmern und vielleicht sogar ein Aufenthalt im Krankenhaus vermieden werden kann. Mittelfristig erwarten wir eine KI-basierte automatische Früherkennung weiterer kognitiver und psychiatrischer Erkrankungen”.
Mathematik und Computer für medizinischen Fortschritt
Nicht nur in der Diagnose, sondern auch in Therapie und Grundlagenforschung nutzt die Medizin immer stärker die digitalen Möglichkeiten. Thorsten Lehr , Professor für Klinische Pharmazie an der Universität Saarbrücken erforscht die Wirkung von Medikamenten im Körper – die sogenannte Pharmakokinetik. Im Dezember vergangenen Jahres hat er seine Erfahrungen mit computergestützten mathematischen Modellen und Simulationen dazu genutzt, um einen Covid19-Simulator zu entwickeln. Mit KI-gestützten Simulationen und Analysen des Verhaltens biologischer Zellen und technischer Systeme beschäftigt sich auch Verena Wolf, Informatik-Professorin in Saarbrücken. Gemeinsam mit Jörn Walter, ebenfalls Professor in Saarbrücken und Leiter der Arbeitsgruppe Epigenetik, forscht Wolf an Modellen, die bestimmen sollen, welche Faktoren die Entwicklung von biologischen Zellen beeinflussen. So sollen genetische Veränderungen in der embryonalen Entwicklung und damit verbundenen Erkrankungen besser verstanden werden.
Ziel ist es, Werkzeuge für Diagnose und Selbstregulation zu entwickeln, mit deren Hilfe man den eigenen Gesundheitszustand im Blick behalten kann.»
Jan AlexanderssonDank leistungsfähiger Algorithmen und immer höherer Rechnerkapazitäten leistet KI einen schnell steigenden Beitrag zur medizinischen Diagnose und Therapie. Maschinen haben gelernt, Röntgenaufnahmen zu beurteilen. „Assistenzarzt Dr. KI“ bietet den menschlichen Radiologen immer öfter die berühmte zweite Meinung und gleich die passende Therapie dazu. Die KI ist sehr talentiert, wenn es darum geht, schnell große Datenmengen zu analysieren wie die Krankheitsverläufe vieler Patienten. Wird die KI so demnächst Chefarzt werden? Eher nicht, denn KI ist nicht gleich KI. Vordenker wie der Tesla-Chef Elon Musk oder der schwedische Philosoph Nick Bostrom warnen zwar vor der „starken“ KI. Sie befürchten die Entstehung einer Superintelligenz, einer Singularität, mit mindestens unklaren, wenn nicht bedrohlichen Folgen für die Menschheit. Doch wird diese allmächtige, sogenannten „starke“ KI wirklich kommen? Professor Kristian Kersting von der TU-Darmstadt und Träger des deutschen KI-Preises 2019 winkt ab: Jenseits des Marketings sei die derzeitige Technik und damit die Welt von dieser Singularität noch weit entfernt.
Die „Schwache Ki“ löst konkrete Probleme
So beschränkt sich der Einsatz der Technologie auf die „schwache“ KI, die konkrete Probleme löst. Am Universitätsklinikum des Saarlands wurde beispielsweise kürzlich das Projekt „KIatta“ gestartet, um Hornhäute vor der Transplantation mithilfe von KI zu beurteilen. Für Professor Berthold Seitz, Direktor der Klinik für Augenheilkunde am Universitätsklinikum des Saarlandes, könnte das ein Meilenstein in der Qualitätssicherung von Hornhautspendergewebe sein. KI kommt auch bei der Entwicklung von Medikamenten zum Einsatz, wenn beispielsweise nicht die Ärzte, sondern Patienten durch Computer ersetzt werden. „In silico“ – so nennen Wissenschaftler wie Professor Norbert Graf die Modellierung, Simulation und Visualisierung von biologischen und medizinischen Prozessen am Computer. Der Direktor der Klinik für Pädiatrische Onkologie und Hämatologie des Universitätsklinikums des Saarlandes war Forschungsleiter des ACGT-Projekts, das schon vor einigen Jahren reale biologische Prozesse in einer virtuellen Umgebung simuliert hat.
Das Team um ki:elements Gründer Nicklas Linz arbeitet in Saarbrücken daran neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer mit Hilfe von Spracherkennung per App frühzeitig zu erkennen. Eine Künstliche Intelligenz gleicht die gewonnen Daten ab und kann Ärzte bei Diagnosen unterstützen.
Solche Fortschritte stellen die Medizin vor die mittlerweile klassischen Herausforderungen der Digitalisierung. Datenschutz und Cybersecurity werden diskutiert, seit Computer das erste Bit über eine Datenleitung geschickt haben. Das gilt besonders für Patientendaten, die bei den Untersuchungen und Behandlungen anfallen werden, auch beim Start-up ki:elements. Je einfacher die App in der Anwendung ist – Smartphone nehmen, hineinsprechen, Sprachdaten abschicken – desto wichtiger ist der Datenschutz. Für den Gründer Nicklas Linz und sein Team ist das ein Thema: „Wichtig ist es, transparent zu sein, also zu sagen, welche Daten gesammelt werden und was mit ihnen passiert. Wenn wir klarstellen, dass Daten und Diagnose nicht an die Versicherung weitergegeben werden, nimmt das den Anwendern die Angst. Was man gemeinhin unter der ärztlichen Schweigepflicht versteht, das muss auch hier gelten.“
Entscheidend sind Sicherheit und Vertrauen
Zwar stehen persönliche Daten unter dem Schutz der europäischen Datenschutz-Grundverordnung, DSGVO. Doch zeigt die umstrittene Einführung der elektronischen Patientenakte ePA Anfang 2021, wie schwierig die digitale Transformation des Gesundheitswesens ist. Sie braucht die Sicherheit der Daten und das Vertrauen der Akteure des Gesundheitssystems, allen voran das der Patienten. Das Saarbrücker CISPA Helmholtz-Zentrum für Informationssicherheit arbeitet am Schutz medizinischer Daten. Das Team um CISPA-Chef Professor Michael Backes stellt fest, dass selbst Forschungen an DNA-Fragmenten zu Datenschutzproblemen führen können. Solche Daten seien ebenso schützenswert wie die Gesundheitsdaten von persönlichen Geräten wie beispielsweise Smartphones oder Fitnesstracker. Deshalb entwickelt CISPA Grundlagen und Algorithmen weiter, um diese Daten einerseits weiter für die Forschung zu erhalten, andererseits aber auch die Privatsphäre zu schützen.
Dass der Einsatz von KI für Wirtschaft und Gesellschaft von großem Nutzen sein wird, steht außer Frage. Viele wichtige Branchen profitieren bereits davon und Gesundheit und Pharma liegen dabei an der Spitze. Die vielen spannenden Projekte zu Diagnostik, Therapie, Grundlagenforschung und Medikamentenentwicklung im Saarland belegen das. Dass parallel an ethischen, juristischen und psychologischen Fragen gearbeitet werden muss, ist auch klar. Die KI muss auch in Zukunft immer für den Menschen da sein und nicht andersherum, das haben bereits 2018 rund 600 führende KI-Experten von Entscheidern in Europa und seinen Mitgliedsstaaten gefordert.
Erschienen im Rahmen einer Content-Kooperation mit dem Verlag der F.A.Z.